Rezension (4/5*) zu Eine Frage der Chemie von Bonnie Garmus

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Eine Frage der Chemie von Bonnie Garmus
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Originelle Heldin

Alle lieben Elizabeth Zott und auch ich bin dem Charme dieser selbstbewussten und widerspenstigen Heldin erlegen.
Elizabeth Zott ist die Protagonistin in dem Debutroman der 64jährigen Wissenschaftsjournalistin Bonnie Garmus „ Eine Frage der Chemie“. Die Geschichte spielt in den 50er und frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine Zeit, in der man Frauen vor allem die Mutter- und Hausfrauenrolle zugedacht hat. Doch Elizabeth hat andere Pläne; sie will eine anerkannte Wissenschaftlerin sein. Dabei werden ihr viele Hindernisse in den Weg gelegt. So muss sie z.B. damit leben, dass ihr Chef ihre Arbeitsergebnisse unter seinem Namen veröffentlicht. Und auch der Doktortitel bleibt ihr versagt, weil sie nicht bereit ist, ihrem Professor dafür besondere Gefälligkeiten zu erweisen.
So nimmt sie eine Assistentenstelle als Chemikerin in einem Forschungsinstitut in einer kalifornischen Kleinstadt an. Hier begegnet sie dem charismatischen Wissenschaftsgenie Calvin Evans, einem Außenseiter und Sonderling wie sie selbst. Die beiden sind wie füreinander geschaffen. Doch heiraten will Elizabeth nicht. Sie will weiter eine eigenständige Person sein und nicht von allen nur als Mrs. Calvin Evan wahrgenommen werden. Eine verständliche, aber falsche Entscheidung, wie sich zeigen wird. Denn als Calvin durch einen tragischen Unfall stirbt und sie die gemeinsame Tochter als ledige Mutter zur Welt bringt, verliert sie ihre Arbeit an der Universität
( „ Sie entlassen mich, weil ich schwanger und unverheiratet bin. Was ist mit dem Mann?“ )
Durch Zufall landet sie beim Fernsehen. Ein Produzent auf der Suche nach einer neuen Sendung bietet der begabten Köchin Elizabeth die Leitung einer Kochshow an. Ihre finanzielle Misere zwingt Elizabeth dazu, den Job anzunehmen. Aber sie geht an ihre neue Arbeit völlig anders heran, als sich das ihre Arbeitgeber gewünscht haben. Sie spielt nicht das süße Muttchen, das in ihrer spießigen Küche ihre Liebsten bekocht. Stattdessen tritt sie im weißen Laborkittel vor die Kamera und verwandelt die Fernsehküche in ein Chemielabor. Die hohe Kunst des Kochens erklärt sie mit ihren Chemiekenntnissen. Alles ist Chemie, denn „ Chemie bedeutet Veränderung der Zustände“.
Elizabeth nimmt die Frauen vor den Fernsehapparaten ernst, erklärt deren Arbeit als Hausfrau für elementar und sinnvoll für das Wohlergehen aller und verkündet unverblümt ihre Meinung zu Religion und anderen gesellschaftlichen Fragen.
Schnell entwickelt sich „ Essen um sechs“ zum Publikumsmagnet. Und ihr Schlusssatz am Ende jeder Sendung wird legendär. „ Kinder, deckt den Tisch. Eure Mutter braucht einen Moment für sich.“
Unbestritten ist „ Eine Frage der Chemie“ ein sehr amerikanischer Roman. Er schreit geradezu nach einer Verfilmung. ( Die Filmrechte sind längst verkauft.) Die Kindheiten der beiden Protagonisten Elizabeth und Calvin sind extrem tragisch ( erinnern z.T. an Geschichten von Charles Dickens), die Häufung von Todesfällen enorm, nicht alle Wendungen und Überraschungen gleichermaßen plausibel. Manche Figuren streifen nicht nur das bekannte Klischee. Außerdem finden sich märchenhafte Züge im Roman, sei es die hochbegabte Tochter, die schon mit fünf Jahren Klassiker der Weltliteratur liest oder der intelligente Hund Halbsieben, der einen enormen Wortschatz hat und einige Situationen originell deutet. Auch hätte es des allzu kitschigen Endes nicht bedurft.
Trotzdem ist der Roman ein einziges Lesevergnügen. Das liegt am Wortwitz der Autorin, die mit viel Humor und Herzenswärme schreibt und an den pointierten Dialogen und den plastisch geschilderten Szenen. Aber auch an der originellen Hauptfigur.
Elizabeth ist eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus ist. Sie verweigert sich der ihr zugewiesenen Rolle und geht stattdessen unbeirrt ihren Weg. Bis zum Ende kämpft sie darum, als Wissenschaftlerin anerkannt zu werden.
Sie ermutigt Frauen dazu, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und keine Angst zu haben vor Veränderungen. Gleichzeitig aber betont sie ihre Wertschätzung für die Arbeit, die eine Hausfrau und Mutter täglich leistet.
Stark und selbstbewusst vertritt Elizabeth ihren Standpunkt, der auf Fakten und Vernunft beruht.
Mit dieser Figur plädiert die Autorin für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, zeigt dabei aber auch den mühevollen und demütigenden Weg, den Frauen dafür auf sich genommen haben.
„ Eine Frage der Chemie“ ist ein kluger und amüsanter Unterhaltungsroman mit einer sympathischen und starken Heldin.