Rezension (4/5*) zu Eifersucht: Sieben Short Stories, ein Motiv von Jo Nesbø

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Sieben Kurzgeschichten...

Der Athener Ermittler Nikos Balli, ein Spezialist für das Mord-Motiv Eifersucht, ist seit dem Verlust seiner großen Liebe ein Getriebener. Auf der Insel Kalymnos soll er einen Vermissten finden, Julian. Er und sein Zwillingsbruder Franz waren in dieselbe Frau verliebt, Helena, Tochter eines Gastwirts der Insel. Es kam zum Streit, und seitdem hat man Julian nicht mehr gesehen. Sein Handtuch wurde am Strand gefunden, ist der junge Mann beim morgendlichen Schwimmen ertrunken? Balli ermittelt und stößt auf immer mehr Beweise, dass Franz seinen Bruder ermordet hat – aber dann wird Julian gefunden, gefesselt und entkräftet in einer Höhle. Doch wo ist Franz? Balli muss all sein Gespür aufbringen, seine eigene schmerzvolle Erfahrung nochmals durchleben, um den Kampf der Zwillinge um Helena zu stoppen... (Klappentext)

Der Klappentext ist zugegebnermaßen etwas irreführend, bezieht er sich doch nur auf die titelgebende (und längste) der in diesem Band versammelten Geschichten. So könnte man missverständlich davon ausgehen, dass es sich um einen Thriller handelt - doch nein, dies ist eine Kurzgeschichten-Sammlung. Dies sollte man vor dem Lesen unbedingt zur Kenntnis nehmen, um Enttäuschungen vorzubeugen...

"Eifersucht" ist das Thema, um das sich die sehr unterschiedlich konzipierten Kurzgeschichten drehen und bildet damit den roten Faden des Buches. Bis auf eine der Erzählungen werden alle aus einer Ich-Perspektive heraus geschildert, so dass das Erleben und der Kenntnisstand des jeweiligen Haupcharakters auch das des Lesers / der Leserin ist.

Jo Nesbø ist vor allem durch seine Thriller-Reihe um den Ermittler Harry Hole bekannt und beliebt. Dass er auch anderes schreiben kann, hat er bereits mit seinen Solitär-Romanen bewiesen. Allen Büchern gemein ist aber beispielsweise die Tatsache, dass die Charaktere tiefgründig herausgearbeitet werden, so dass man tief in das Seelenleben einzelner Personen eintauchen kann.

Dies ist in diesem Kurzgeschichtenband allerdings nur bei der titelgebenden Erzählung ansatzweise der Fall, die immerhin etwa ein Drittel des Gesamtumfangs des Buches einnimmt. Ansonsten fehlt dieses sonst so prägende Merkmal der Nesbø-Romane, was sicherlich der Kürze der Geschichten zuzuschreiben ist. Manchmal empfand ich das nicht als störend, bei anderen Geschichten jedoch hätte ich mir weniger Oberflächlichkeit gewünscht.

Ich kann hier nicht detailliert auf jede Erzählung im Einzelnen eingehen, möchte sie jedoch kurz vorstellen:


1. LONDON

Auf einem Flug von New York nach London lernt der Ich-Erzähler eine weinende Frau kennen und erfährt den Grund für ihre Traurigkeit - und von der Konsequenz, die sie daraus gezogen hat. Eine Geschichte voller Überraschungen, die einem selbst am Ende noch eine lange Nase dreht...


2. EIFERSUCHT

Ein Ermittler auf einer griechischen Insel ermittelt im Fall eines verschwundenen Mannes. Dessen Zwillingsbruder gerät unter Verdacht, doch dann wendet sich das Blatt. HIer werden nicht nur Erinnerungen an "Das doppelte Lottchen" von Erich Kästner wach, sondern auch überraschende Einblicke in das Seelenleben des Ermittlers selbst geliefert...


3. DIE WARTESCHLANGE

Eine Kassiererin in einer 7-Eleven-Filiale weist unbelehrbare Vordrängler ungeahnt in ihre Schranken. Eine eher bitterböse-humorvolle aber gleichzeitig auch gesellschaftskritische Erzählung mit einigen Denkanstößen. "Im letzten Jahr sind ebenso viele Menschen an Tuberkulose wie an dieser neuen Infektionskrankheit gestorben. In den Nachrichten redet aber trotzdem niemand über Tuberkulose, denn hier in der Welt der Reichen ist das kein Problem."


4. ABFALL

Ein zu Jähzorn neigender und dem Alkohol verfallener Mitarbeiter der städtischen Müllabfuhr lüftet im Laufe des Morgens das Blackout der vergangenen Nacht. Eine nicht ganz so überraschende Erzählung, die mich trotzdem gut unterhalten konnte...


5. DAS GESTÄNDNIS

Arnes Ex-Freundin ist gewaltsam verstorben, und er erzählt dem Kommissar, was er darüber denkt. Dabei scheint er sich zunehmend um Kopf um Kragen zu reden - wird er gar gestehen? Das Ende wirkt wie ein Paukenschlag...


6. ODD

Die einzige Geschichte mit einem personalen Erzähler ("er") beschäftigt sich mit einem zunehmend bekannten Schriftsteller (Odd), der hinter der Bühne auf seinen Live-Auftritt wartet. Trotz einiger überraschenden Wendungen fand ich die Erzählung im Vergleich zu den anderen doch recht wirr und überzogen. Für mich die schwächste in dem Band.


7. DER OHRRING

Ein Taxifahrer entdeckt auf der Rückbank des Taxis einen Ohrring, der ihm sehr bekannt vorkommt. In ihm keimt ein böser Verdacht - doch was tut er damit? Wieder eine böse, unterhaltsame Geschichte mit einem konsequenten Ende...


Alles in allem fand ich die sieben Kurzgeschichten des norwegischen Meisters des Thrillers unterhaltsam, abwechslungsreich und flüssig zu lesen, aber wie immer in solchen Sammlungen gefielen mir nicht alle gleichermaßen gut. Deshalb wohlverdiente vier Sterne und eine Leseempfehlung für alle Liebhaber von Kurzgeschichten. Hier dürfte für jeden etwas dabei sein...


© Parden

 
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