Rezension Rezension (4/5*) zu Dieses ganze Leben von Raffaella Romagnolo.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Dieses ganze Leben von Romagnolo, Raffaella
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Erwachsen werden

„Ich bin hässlich. Das ist die Wahrheit, die schlichte, unzweifelhafte Wahrheit.“ Es ist die 16jährige Paola, die einen so gnadenlosen Blick auf sich selbst hat und aus deren Perspektive erzählt wird. Es ist der kritische Blick einer Jugendlichen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Sie ist zu dick, was ihrer durchtrainierten und perfekten Mutter nicht passt. Deshalb soll Paola ab sofort jeden Tag eine Stunde zügig gehen. Und dabei ihren 12jährigen Bruder Richi mitnehmen. Der sitzt im Rollstuhl und hat sprachliche und motorische Defizite. Doch trotz seiner Behinderung ist er tapfer und offen für vieles. Paola hat einen guten Draht zu ihrem Bruder, den sie liebevoll „ Opf“ nennt.
Die beiden nutzen ihre tägliche Tour, um Neuland zu entdecken. Sie verlassen das noble Villenviertel, in dem sie zuhause sind und gehen lieber dorthin, wo das wirkliche Leben stattfindet. In eine Siedlung mit Sozialbauten, die Margeritensiedlung, die die Geschwister nach Anordnung der Mutter nicht betreten sollen.
Hier treffen sie auf Antonio und dessen Bruder Filippo. Richi und Filippo verstehen sich auf Anhieb, denn die beiden teilen die gleiche Leidenschaft für Schach. Paola kennt den zwei Jahre älteren Antonio aus der Schule. Es gefällt ihr, dass er nicht wie die anderen nur so daherredet, sondern den Dingen auf den Grund geht. Von ihm fühlt sie sich ernst genommen. Doch es dauert einige Zeit, bis sie ihr Misstrauen überwindet und glaubt, dass er sie wirklich mag.
Dann überstürzen sich die Ereignisse in der Familie. Die Polizei macht eine Hausdurchsuchung, Journalisten belagern die Villa. Doch wie immer wird geschwiegen . Paola bekommt auf ihre Fragen nur ausweichende Antworten.
Gemeinsam mit Richi kommt sie dem Geheimnis auf die Spur. Sie finden heraus, wie damals der Großvater mit seiner Baufirma zu Wohlstand kam und wie sehr der eigene Vater in die Machenschaften verstrickt ist.
Raffaella Romagnolo hat einen Coming-of-Age-Roman geschrieben über ein zorniges Mädchen, das nicht immer sympathisch rüberkommt. Gleichzeitig hat der Leser Mitleid mit ihr, denn hinter ihrer rotzigen Art verbirgt sich eine verletzte Seele. Sie hat die typischen Probleme vieler Teenager, fühlt sich hässlich und ungeliebt. In der Schule wird sie gemobbt, Freunde hat sie keine. Mit ihrer Mutter liegt sie im Dauerclinch. Die möchte sie ständig anders haben, dünner, hübscher, freundlicher. Einzig von ihrem Bruder fühlt sie sich verstanden. Beide eint, dass sie nicht den Erwartungen der Eltern entsprechen.
Paola ist klug und beobachtet genau. Die Lügen und faulen Kompromisse der Erwachsenen widern sie an. Erst später merkt sie, dass auch die Mutter Probleme hat, die sie schon jahrelang belasten. Am Ende erlebt der Leser eine veränderte Paola. Sie hat gelernt, sich anzunehmen, hat eine Freundin gefunden und in der Familie wird endlich miteinander geredet.
Raffaella Romagnolo erzählt sprunghaft und assoziativ. Das passt zur Erzählperspektive, macht das Lesen aber nicht ganz einfach. Manchmal war es mir zu viel Geplapper, manche Anspielungen auf Filme und Bücher waren nicht immer verständlich. Auch das etwas abrupte und schöngefärbte Ende konnte mich nicht ganz überzeugen.
Trotzdem ist „ Dieses ganze Leben“ ein empfehlenswerter Entwicklungsroman, der viele Themen aufgreift.