Rezension Rezension (4/5*) zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von Stephen Crane.

Yolande

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13. Februar 2020
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von  Stephen Crane
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Bildhaft und metaphernreich


„Im nächsten Moment setzte sich das Regiment in Bewegung und marschierte los, einem vielbeinigen Fabelwesen nicht unähnlich. (…) Auf dem Rücken des kriechenden Reptils blitzte manchmal ein Stück Stahl auf, akustisch untermalt von dem Knarren der fahrbaren Kanonen“ (S.31)

Amerika während des Bürgerkriegs.
Obwohl er eigentlich noch zur Schule geht, meldet sich der junge Henry Fleming freiwillig zur Armee. Er hat sehr heroische und romantische Vorstellungen vom Krieg, inspiriert von den großen Schlachten der Antike, von denen er gelesen hat.
Zunächst passiert nicht viel. Henry zieht mit seinem Regiment zu einem Lager am Ufer eines Flusses und wartet darauf, endlich in das Kampfgeschehen eingreifen zu können. Die einzige Feindberührung gibt es mit den Wachsoldaten der Konföderiertenarmee am anderen Ufer. Je länger das Warten dauert, umso größer werden Henrys Zweifel, ob er sich während des Kampfes wirklich so ruhmreich verhalten wird. Wird sein Mut größer sein als seine Angst? Als es endlich soweit ist, funktioniert Henry wie ein Automat und schießt in die feindlichen Reihen, zunächst scheint seine Seite den Sieg davonzutragen. Als aber nach einer Kampfpause, die Rebellen erneut angreifen, ergreift er kopflos die Flucht. In einem stetigen Zwiegespräch versucht er seine panische Reaktion zu rechtfertigen.
„Keine Frage. Der Krieg war verloren. Die Drachen näherten sich mit riesigen Schritten. Die eigene Armee, im Dickicht verfangen und im Dunkel mit Blindheit geschlagen, stand kurz davor, von dem Monster verschlungen zu werden.“ (S. 123)
Als er mitten im Durcheinander des Rückzugs unter die fliehenden Kameraden gerät, bekommt er durch einen Schlag auf den Kopf eine blutende Wunde. Trotzdem gelingt es ihm zu seinem eigenen Regiment zurückzufinden. Aus Scham gibt er seine Kopfwunde als Schussverletzung aus und behauptet, dass er während der Kämpfe von seinen Kameraden getrennt wurde. Als es am nächsten Morgen wieder zurück auf das Schlachtfeld geht, kämpft Henry in vorderster Front und zeichnet sich durch große Tapferkeit aus. Doch der Makel der Feigheit wird zeitlebens an seinem Gewissen nagen.

Der amerikanische Autor Stephen Crane schrieb dieses Buch im Alter von 24 Jahren, ohne vorher an irgendwelchen Kriegshandlungen teilgenommen zu haben. Trotzdem ist es ihm gelungen, einen authentischen Bericht aus der Sicht eines einfachen Soldaten zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt etwas noch nie Dagewesenes und eine Sensation. Crane schreibt sehr bildhaft und metaphernreich, auch das hat mit Sicherheit zu dem großen Erfolg beigetragen, den dieses Buch gleich nach seinem Erscheinen erzielte.
„Das flüchtige Gelb des nahenden Tages verschwand in ihrem Rücken. Als die vollen und wärmenden Sonnenstrahlen endlich die Erde berührten, sah der Junge, wie sich zwei lange, schmale und schwarze Kolonnen über die Kuppe eines Hügels wanden. Er fühlte sich an zwei überdimensionale Schlangen erinnert, die ihre nächtliche Höhle verlassen hatten und nun durch die Landschaft glitten“ (S. 31)
Auch der Titel des Buches „Die rote Tapferkeitsmedaille“ ist kein Orden für besondere Verdienste, wie ich zunächst vermutete, sondern es sind die blutenden Wunden der Verletzten, die diese sich im Kampf zugezogen haben. Durch den intensiven Schreibstil und den eingeschränkten Blickwinkel auf Henrys Sicht, hat man das Gefühl unmittelbar an dieser Schlacht teilzunehmen. Man riecht förmlich den Pulverdampf, hört den Kanonendonner und die Schreie der Verwundeten. So gesehen kann man dieses Buch auch als „Antikriegsroman“ einordnen, obwohl das sicher nicht in der Motivation Cranes lag und in der Zeit seines Erscheinens auch nicht so gesehen wurde. Der einzige Wermutstropfen war für mich die Figur des jungen Henry. Ich fand seine Charakterentwicklung leider sehr negativ. Aus dem zunächst unsicheren und zurückhaltenden Jungen wurde ein selbstverliebter Aufschneider, der selbst seine unrühmliche Flucht vor sich selbst als Heldentat rechtfertigte.

Dem Buch angegliedert sind noch die Erzählung „Der Veteran“, die Crane ein Jahr später veröffentlichte und Henry als alten Mann zeigt. Außerdem gibt es noch ein hervorragendes Nachwort von Thomas F. Schneider, das mir sehr geholfen hat, diesen Roman für mich einzuordnen und eine sehr ausführliche Biographie Stephen Cranes, der leider viel zu früh im Alter von 28 Jahren verstarb, aber in dieser kurzen Lebensspanne so viel erlebte, dass es auch für mehrere Leben gereicht hätte.


 

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