Rezension Rezension (4/5*) zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von Stephen Crane.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von  Stephen Crane
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Krieg aus der Perspektive eines einfachen Soldaten

Henry, ein 17jähriger Junge vom Land, „ hatte sein ganzes Leben lang von Schlachten geträumt“, von heroischen Kämpfen, wie sie die alten Griechen geführt hatten. Und so meldet er sich freiwillig zur Armee. Nun liegt er hier in Stellung mit anderen frisch eingezogenen Soldaten und alle warten darauf, dass es endlich losgeht.
Das Warten bringt Henry ins Grübeln. Würde er genug Mut aufbringen oder wird er bei der ersten Gefahr wegrennen? Was wusste er letztlich von sich? „ Er war sich selbst eine unbekannte Größe.“ Über seine Selbstzweifel zu sprechen, verbietet sich von selbst. Schließlich will er nicht als Feigling dastehen und zum Gespött der anderen werden.
Dann endlich kommt es zu den ersten Kampfhandlungen. Aber der Feind ist ihnen überlegen und jeder versucht, nur sich selbst zu retten. In seiner Panik flüchtet Henry, wie Zahlreiche neben ihm.
Bei einem Streit mit einem anderen Deserteur zieht er sich eine Verwundung an der Stirn zu. Ausgerechnet diese Wunde wird ihm Anerkennung und Respekt einbringen, als er wieder auf seine Truppe trifft. Und beim nächsten Angriff scheint Henry seine Angst überwunden zu haben und gilt fortan als Held.
Was dem heutigen Leser wie ein gut gemachter, aber konventioneller Kriegsroman vorkommen mag, war zu seinem Erscheinen 1894 eine Sensation. Denn der Roman bricht mit den üblichen Mustern von Kriegsberichten, die die Taktik der Befehlshaber in den Fokus rücken und dabei das Kriegsgeschehen idealisieren und heroisieren.
Hier aber wird zum ersten Mal die Perspektive des einfachen Soldaten eingenommen, der erste Erfahrungen mit der grausamen Realität des Krieges macht. Der Leser ist ganz nah bei dessen widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen; bei seinen anfangs naiven Phantasien von Heldentum, bei seinen Selbstzweifeln, seinen Hoffnungen und seinen Ängsten. Viele Veteranen, die den Roman gelesen haben, fühlten sich erkannt und bestätigt.
Dabei war Stephen Crane keiner von ihnen. Er ist erst dreißig Jahre nach dem amerikanischen Bürgerkrieg geboren und war knapp 22 Jahre alt, als er das Buch schrieb. Aber er schreibt, als sei er selbst dabei gewesen.
Dabei geht es Crane nicht um den tatsächlichen Ablauf einer historischen Schlacht. Wir erfahren auch nichts über die Gründe, die zum amerikanischen Bürgerkrieg geführt haben. Das ist für seine Geschichte nicht wichtig. Denn was Crane beschreibt, ist eine universelle Erfahrung. Für den einfachen Soldaten ist der Krieg eine undurchschaubare Sache. ( „ Die beiden Parteien hatten offensichtlich die langfristigen Ziele einer Schlacht längst aus den Augen verloren. Sie waren damit zufrieden, solange aufeinander einzuschlagen, bis am Ende beide Widersacher am Boden lagen.“) Er taumelt durch den Kugelhagel und ist nur bestrebt, Befehle zu befolgen und dabei sein Leben zu retten.
Crane lässt die Soldaten in ihrer eigenen , einfachen Sprache sprechen, was dem Roman zusätzliche Authentizität verleiht.
Gleichzeitig wirft er einen kritischen Blick auf die Befehlshaber. „Die Befehle waren so unrealistisch und widersprüchlich, dass niemand mehr wusste, was er zu tun hatte.“
Bei einem Gespräch zwischen einem General und einem Offizier, das Henry zufällig belauscht, wird ihm deutlich, dass er und seine Kameraden nicht mehr sind als Kanonenfutter. „ Gehen Sie mal davon aus, dass die wenigsten Ihrer Maultiertreiber überleben!“ rief ihm der General noch nach. Der Offizier brüllte ein paar unverständliche Worte zurück und grinste.“
Auch die Sprachgewalt des Autors überzeugt. Er schafft filmische Szenen, entwirft unendlich viele Bildern und Metaphern, die das Geschehen illustrieren und Atmosphäre schaffen. Anfangs finden sich impressionistische Naturbeschreibungen; hier wird die Schönheit der Natur in Kontrast gestellt zu den schwer erträglichen Grausamkeiten. Später wird die Natur selbst zum Feind.
In der kleinen Erzählung „ Der Veteran“ begegnen wir Henry noch einmal, dieses Mal als alten Mann mit seinem Enkel.
Dankenswerterweise hat der Verlag dem noch einen aufschlussreichen Anhang hinzugefügt, der das Buch und den Autor richtig einordnen lässt. Der Aufsatz von Thomas F. Schneider interpretiert den Roman und der Text von Rüdiger Barth bringt uns Stephen Crane näher, ein in Deutschland wenig bekannter Autor, der Vorbild für viele Schriftstellerkollegen nach ihm wurde.