Rezension Rezension (4/5*) zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von Stephen Crane.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von  Stephen Crane
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Das „kleine Rädchen“ im Kriegsgeschehen

„Die rote Tapferkeitsmedaille“ ist ein Roman, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde und der damals den jungen Autoren Stephen Crane sehr bekannt machte. In den Jahrzehnten danach allerdings ging der Ruhm des jung verstorbenen Autors und seines Romans sehr schnell verloren. Was blieb allerdings, ist die Wirkung dieses Romans auf viele andere Schriftsteller, die in ihren Werken über den Krieg der Sichtweise des kleinen Soldaten im Heer der Kämpfenden nun immer mehr Raum einräumten. Ganz in der Tradition, die „Die rote Tapferkeitsmedaille“ angestoßen hat.
Auch heute noch allerdings bleibt beim Lesen dieses Romans eine Verstörtheit über die ungewohnte Sichtweise auf das Kriegsgeschehen, die hier in durchgängiger Konsequenz vom Erzähler eingenommen wird.
Wir erleben eine Schlacht im Amerikanischen Bürgerkrieg aus der Sichtweise von Henry, einem Bauernjungen, der sich aus einem gewissen Maß an geschürter Kriegsbegeisterung und einem erheblichen Maß an Alternativlosigkeit in seinem kleinen amerikanischen Dorf freiwillig zum Kriegseinsatz gemeldet hat.
Als er dann auf dem Schlachtfeld steht, prägt ihn vor allem Verwirrung und Planlosigkeit, die ihn zunächst dazu führt, die Flucht anzutreten und sich vom Schlachtgeschehen zu entfernen. Plan- und systemlos um ihn herum bewegen sich die Soldaten in die verschiedensten Richtungen, nach vorn, nach hinten, zur Seite. Wie daraus ein zielgerichteter Krieg entstehen soll, bleibt mit Henry auch dem Leser komplett unklar. Und so ist die Sichtweise eines „kleinen Rädchens“ im Motor des Kriegsgeschehens vor allem verstörend, da undurchschaubar. Beim Lesen stellt sich dadurch sehr häufig ein tiefes Maß an Frustration ein.
Genauso überraschend wie Henry den Rückzug vom Geschehen angetreten hat, dreht er nach einiger Zeit wieder die Richtung um und kehrt zu seiner Truppe zurück. Hier wirft er sich nun in den Kampf. Ein Angriffs der Gegenseite muss zurückgeschlagen werden. Hier schlägt sich Henry erstaunlich aktiv und tapfer. Den Gegner bekommt der Leser dabei so wenig zu Gesicht wie Henry selbst. Nur das Einschlagen von Schüssen verrät ihm und uns als Leser: der Gegner ist da und versucht alles, den Feind zu besiegen und zu vernichten.
Genauso wie der Gegner treten auch die Vorgesetzten, d.h. die Kommandoebene gar nicht oder selten in Erscheinung. Beide sind einfach zu weit von dem Kriegsrädchen Henry entfernt. Rauch und Staub, aufgewirbelt vom Schlachtengetümmel, verbunden mit der weitgehend fehlenden Einsicht in das Gesamtgeschehen schränken die Sichtweise des einzelnen Soldaten und des Erzählers, der konsequent an seiner Seite bleibt, zu stark ein. Doch einmal kann Henry ein Gespräch von Vorgesetzten belauschen und erfährt so von seiner konkreten Rolle in diesem Geschehen: er ist gemeinsam mit seinen Kameraden „Kanonenfutter“, eine Menge Menschen, die verzichtbar sind und die man deshalb in aussichtslose Aktionen schicken kann.
Trotz dieses Wissens kämpft er weiter sehr aktiv und intensiv und steigert sich im folgenden Angriff auf den Gegner geradezu in einen Fahnenrausch und wird zum sogenannten „Helden“. Als die Schlacht dann vorbei ist, endet auch der Roman und lässt den Leser mit einem eher verwirrten und ambivalenten Verhältnis zum Romanhelden Henry und seinem Handeln im Krieg zurück.
Mein Fazit:
„Die rote Tapferkeitsmedaille“ ist ein fordernder Roman. Es fällt nicht leicht, sich so nah und direkt in das Kriegsgeschehen mit Henry zu begeben, ohne vom Erzähler zu erfahren, wozu das alles führt, welche Rolle das für das Kriegsgeschehen insgesamt spielt und ob das irgendeinen Sinn macht, was Henry mit seinen Kameraden da tut und wofür er seine Gesundheit und sein Leben aufs Spiel setzt.
Aber gerade das ist auch die Stärke des Romans, der konsequent diese verstörende Sichtweise vermittelt und einhält. Das war das absolut Neue an dem Roman und begründete seinen Erfolg bei Publikum und anderen Autoren.
Ich habe mich nach einigem Zaudern und Zagen auf dieses Experiment eingelassen und wurde von dem Roman beeindruckt und begeistert, wenn er mich auch ärgerlich macht, was in der Natur der Sache liegen sollte. 4 dicke Sterne für dieses literarische Pilotstück und Meisterwerk. Der Pendragon-Verlag hat dieses zu Unrecht vergessene Werk in diesem Jahr neu aufgelegt in einer sorgsam erarbeiteten Ausgabe mit einem guten und interessanten Nachwort, in dem uns der leider jung verstorbene Autor Stephen Crane nahegebracht und in seine Zeit eingeordnet wird.