Mit seinem neuen Roman wirft Dave Eggers die Frage auf, ob der Westen in der Lage ist, die komplizierten Verstrickungen eines Entwicklungslands, das sich jahrelang im Bürgerkrieg befand, zu begreifen. Eine kluge, hochaktuelle Parabel und ein echter Pageturner.
Zwei Straßenbauer werden von einer internationalen Baugesellschaft in ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land geschickt, um den armen Süden mit dem reichen Norden zu verbinden. Der Präsident des Staates will den noch jungen, fragilen Frieden mit einer Militärparade auf der neuen Straße feiern. Einer der beiden Männer möchte so schnell und korrekt wie möglich seine Arbeit verrichten, um bald wieder nach Hause zu können; der andere ist abenteuerlustig und nimmt voller Freude und Neugier alles mit, was ihm die neue Kultur, die fremden Menschen und das exotisch riechende Essen zu bieten haben. Meter für Meter kämpfen sie sich mithilfe einer hypermodernen Asphaltiermaschine voran. Die Straße wird länger, die Konflikte zwischen den beiden werden härter und nehmen eine dramatische Wendung, als einer der Männer lebensbedrohlich erkrankt. Beide kommen auf dieser Reise an ihre Grenzen – und müssen sich fragen, inwiefern sie der Bevölkerung wirklich helfen, wenn sie ihren Auftrag erfüllen. Tut man automatisch Gutes, wenn man Gutes tun will? In »Die Parade« zeigt sich erneut Dave Eggers’ besondere Begabung, soziale und politische Fragen mit den Mitteln der Literatur zu untersuchen – eine fesselnde Lektüre, die nachdenklich stimmt.Kaufen
Kaufen >
In einem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land ist ein fragiler Frieden eingekehrt. Nun soll eine neue Straße gebaut werden, um den armen Süden mit dem reichen Norden zu verbinden, und zu diesem Zweck wird eine Baugesellschaft aus einem nicht näher benannten Industrieland angeheuert. Diese schickt eine hochmoderne Asphaltiermaschine sowie zwei Straßenbauer, damit schnellstmöglich eine Militärparade auf der neuen Straße stattfinden kann.
Die beiden Männer könnten unterschiedlicher nicht sein: Der eine, “Vier” genannt, hält sich penibel an die Regeln, den Blick unerschütterlich auf den nächsten Meter Straße gerichtet, und vermeidet gemäß Firmenpolitik jegliche Interaktion mit der indigenen Bevölkerung. Der andere, “Neun”, lässt seine Pflichten schleifen und vergnügt sich derweil mit exotischem Essen und willigen Frauen, was Vier immer mehr aufbringt und aus der Bahn wirft.
Es ist subtropisch in diesem vom Bürgerkrieg geplagten Land, die Lebensbedingungen im armen Süden sind katastrophal. Das Industrieland, das die Maschine und die Straßenbauer geschickt hat, ist hingegen politisch stabil und wohlhabend – und hat Eigeninteressen bei diesem Bauprojekt.
Es geht um Krieg und dessen Nachwehen, es geht um Kriegsverlierer und Kriegsgewinnler. Dieser Grundkonflikt liest sich durchaus greifbar, doch die Details und die daraus entstehende Geschichte wirken seltsam unwirklich und gleichzeitig bestechend hyperreal.
Anonym oder mit rein symbolischen Namen ausgestattet, sind die Charaktere, die beteiligten Länder und die Baufirma wenig mehr als Platzhalter – gerade konkret genug, um den Konflikt der Geschichte tragen zu können, gerade gewichtig genug, um dem Leser 192 Seiten lang als Anker zu dienen.
Reicht das, um nicht nur stumpf zu belehren? Reicht es, um den Leser wirklich in die Geschichte zu ziehen, ihn gleichzeitig zu unterhalten und seinen Horizont zu erweitern?
Ein weiter Horizont ist jedenfalls einer der ersten Eindrücke des Buches – gesehen aus der klaustrophobischen Enge der Fahrerkabine heraus. Es sind die Gedanken von Vier, die die Geschichte erzählen, und dieser Kontrast von Weite und Enge macht in vielerlei Hinsicht sein ganzes Wesen, sein ganzes Leben aus. Er schaut zwar voraus (räumlich und im übertragenen Sinne), stellt sich vor, was die Straße für die Menschen des Landes bedeuten wird – hinterfragt die politische Situation, die Absichten der Firma und die tatsächlichen Auswirkungen dabei jedoch kaum.
Neun hingegen ist unberechenbar, sprunghaft, genussorientiert, für ihn gibt es scheinbar keinerlei Regeln oder Einschränkungen. Er eilt in der Geschichte so oft außer Sichtweite vorweg, existiert nur noch als Echo eines steten Grolls in den Gedanken von Vier, dass man glauben könnte, Neun sei lediglich dessen personifizierter Kontrapunkt.
Passenderweise ist Vier in der Fahrerkabine an den schnurgeraden Weg der Maschine gebunden, während Neun wild und frei auf dem Motorrad voraus fährt. Bald kristallisiert sich (vorhersehbar) heraus, dass Vier und Neun sehr davon profitieren würden, sich beim jeweils anderen etwas abzuschauen. Gemeinsam ist ihnen ein sonderbarer Optimismus, dass diese Straße das Heil bringen wird.
Beide Charaktere sind so überdeutlich gezeichnet, dass sie zu reinen Sinnbildern, zu Archetypen werden.
Als Leserin konnte ich keinem der beiden zugestehen, hundertprozentig richtig zu handeln, weil sie ihre jeweiligen Lebensmodelle zu kompromisslos ausreizen – und dabei meist blind sind für die großen Fragen, die über ihren persönlichen Horizont hinausgehen.
Ihre übersteigerten Eigenschaften und der Konflikt, der aus dem Zusammenstoß ihrer Persönlichkeiten entsteht, ergeben jedoch einen sehr lebendigen Nährboden, damit der Leser sich genau diese Fragen stellen und ein Stück weit beantworten kann.
Die Sprache ist überwiegend knapp, dicht und sinnorientiert. Insofern entspricht sie genau dem Naturell von Vier und verfällt nur manchmal in erstaunlich altmodische, fast schon blumige Formulierungen. Vielleicht soll es dem Leser zeigen, dass auch hinter Viers rigidem Verhalten ein Mensch mit unerwarteten Eigenheiten und Vorlieben steckt – dass er sich vielleicht doch ein wenig des kindlichen Staunens bewahrt hat, das auch Neun antreibt.
Die Geschichte verläuft so gradlinig wie die Straße – um dann doch mehrmals in unerwarteten Ereignissen auszubrechen.
In diesen Brüchen entlädt sich das ganze Spannungspotential des Romans.
Obwohl ich meist eine gewisse Distanz zu den Ereignissen und Charakteren empfand, verspürte ich doch einen enormen Drang, weiterzulesen und über das Gelesene nachzudenken. Dieser Drang wurde nur selten unterbrochen – nicht einmal in den Passagen, in denen die Handlung sich träge voranwälzt wie die Maschine. Die Stärke des Romans liegt meines Erachtens nicht in der konkreten Handlung von A bis Z, sondern in seinen Denkanstößen.
Das Ende fegt die Erwartungen des Lesers dann gnadenlos vom Tisch. Das wirkt zunächst wie ein genialer Schachzug, am Schluss blieb für mich jedoch ein bitterer Beigeschmack bei dem Gedanken: ‘Aber das weiß ich doch schon.’
Die neue Situation transportiert eine Botschaft, die man aus Büchern und Filmen kennt, die man sich aus der Realität schon tausendfach hergeleitet hat. So verpufft in meinen Augen ein Teil des Potentials, weil es im Verlauf der Geschichte aufgebaut, aber vom Ende nicht solide getragen wird.
Dennoch: es ist auch so immer noch ein lohnender Roman, der Denkanstöße gibt.
Lesern von "Die Parade: Roman" gefiel auch...
Wenn Haie leuchten
von: Julia Schnetzer
Das Ding – Der Tag, an dem...
von: Jürgen Neffe
Die Angehörigen: Roman
von: Katharine Dion