Rezension (4/5*) zu Die Macht der Diaspora von Dr. Alexander Clarkson

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ergibt ein umfassendes Bild

Kurzmeinung: So sieht es momentan aus in Deutschland - etwas davon sollte man unbedingt wissen.


Dr. Alexander Clarkson ist Historiker und lehrt und doziert zur Zeit am King's College in London. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf den Beziehungen zwischen Diaspora-Gruppen und deutschen politischen Bewegungen nach 1945. Er veröffentlicht regelmäßig in renommierten Fachzeitschriften, hält Gastvorträge auch in Deutschland, schreibt für Zeitungen im In- und Ausland Fachartikel, zum Beispiel für DIE ZEIT. Dies erklärt seinen Stil.

In seinem Buch „Die Macht der Diaspora“ stellt er der Leserschaft nach einer eingängigen Einleitung, in der er über Grundsätzliches das Einwandererland Deutschland betreffend, referiert, fünf Hauptgruppen von heute in Deutschland lebenden Exilanten vor.

Er beginnt mit der türkischen und kurdischen Gruppierung. Zur jeweiligen „Diaspora“ gehören immer auch die Nachgeborenen, also in diesem Fall, die türkisch/kurdischstämmigen Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Diaspora wird der neue Lebensmittelpunkt im Ausland genannt, sobald sich die Gruppierung organisiert und zusammengetan hat. Clarkson holt ein wenig aus, skizziert jeweils die Politik des Herkunftslands, benennt und erklärt prägende Persönlichkeiten und politische Parteiungen, kurz jeweilige historische Erfahrungen, die die Exilanten mitbringen.

Nach der türkisch/kurdischen stellt er die iranische Diaspora vor, danach die arabische, die ex-jugoslawische bis er zur neuesten Auswanderungswelle aus der Ukraine kommt, also zur ukrainischen Diaspora. Besonders lebendig erzählt er von/über die ukrainischen Exilanten, denn da, wo man persönlich betroffen ist, ist man nahe dran und Clarkson hat ukrainische Wurzeln.

Der Kommentar:
Die Informationen sind überaus gründlich recherchiert, der Anhang ist ellenlang, jede Aussage ist akribisch belegt, „Die Macht der Diaspora“ ist mehr als ein Sachbuch, es ist eine wissenschaftliche Arbeit. Das ist das Hinkebein des Buches, denn es werden, wie in der Geisteswissenschaft üblich, so viele Informationen wie möglich in einen Satz gestopft. Zwar, dankenswerterweise, arbeiten Autor und Übersetzer endlich mit Relativsätzen; die Übersichtlichkeit geht jedoch schnell verloren, wenn man zu viele davon in einem einzigen Satz unterbringt; womöglich die Relativsätze wiederum mit Relativsätzen erklärt. Relativsätze sind grundsätzlich gut, aber nicht zu viele auf einmal! Es bleibt die Nichtverwendung der gängigsten Konjunktionen zu bekritteln, da, weil, deshalb, also, jedoch, aber, und, etc. pp. Kausale Zusammenhänge ergeben sich natürlich auch so, aber der Leser hat seine liebe Mühe, die Informationen aus den hochkomplexen Sätzen zu entzippen! Macht, liebe Wissenschaftler, solange ihr keine Doktorarbeit schreibt, aus einem Satz bitte mehrere! Das geht. Es ist gar nicht so schwer. Für wen schreibt ihr denn? Für eure Studenten? Für andere Profs? Nein, für uns, das Volk. Macht es uns doch nicht so schwer. Ihr wollt eure Informationen doch unters Volks bringen, oder?

Davon abgesehen ist das Buch top.

Der Autor zeigt ganz klar, wie sich nicht nur die deutsche Kultur durch die Einwanderergruppen ändert, sondern auch die deutsche Politik. Jede Emigrantengruppe entwickelt Organisationen, durch die sie, wie auch andere hiesige Lobbyisten, auf die Politik des Ankunftslandes, hier also Deutschland, einwirken. Andererseits wirken die Exilanten und ihre Organisationen, auch wiederum auf die Politik ihrer Herkunftsländer ein. Oft sind sie in der Lage, einen positiven Wandel mit zu beeinflussen; nicht zuletzt unterstützen sie Zurückgebliebene finanziell und wirken damit wirtschaftlich auf die Herkunftsländer ein. Es ist eine Wechselwirkung natürlich. Auch die deutschen Institutionen wirken auf die jeweiligen Exilantengruppierungen ein und verändern sie auf lange Sicht.

Fazit: Der wissenschaftliche Stil, wenn man ihm zu sehr frönt, ist nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Zumutung. Denn es geht auch anders, ohne dass man das Niveau herunterbrechen muss. Ich bin kein Freund eines hochwissenschaftlichen Stils jenseits von Fachzeitschriften. Deshalb gibt es dafür leider einen Stern Abzug.

Aber wenn man sich denn durchquält und die Informationen aus den Sätzen entzippt - wird man mit allen Informationen versorgt, die man braucht, um sich ein umfassendes Bild zu machen.

Kategorie: Sachbuch.
Verlag, Propyläen im Hause Ullstein, 2022

 

Emswashed

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9. Mai 2020
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49
Ich lese auch gern Sachbücher, aber nach Deiner Beschreibung wäre mir dieses eindeutig zu trocken.