Rezension Rezension (4/5*) zu Die Kakerlake von Ian McEwan.

KrimiElse

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26. Januar 2019
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buchmafia.blogspot.com
Ein schnelles Buch für eine schnelle Welt?

Die Geschichte einer Welt, die kopfsteht und eine Verneigung vor Kafka wagt Ian McEwan in seiner Novelle „Die Kakerlake“, wobei die Geschichte des Ungeziefers Gregor Samsa nur der Aufhänger einer bösen Brexit-Satire ist.

Begriffe wie „Reversalismus“ und „Vordreher/Rückdreher“ als einfache politische Kakerlakensprache funktionieren in McEwans Werk genauso wie das kakerlakenhafte Pheronon-Kollektivbewusstsein zur Gleichschaltung britischer Kabinettsmitglieder.
Zu Beginn des Textes tauscht die Gemeinschaft der Kakerlaken den britischen Premier unbemerkt durch einen der ihren aus, in kurzen äußerst satirischen Passagen verfolgt man zunächst die Menschwerdung der Kakerlake zum britischen Premier Jim Sams, um dann staunend mitzuerleben, wie dieser den Willen des Volkes nach mehr Sicherheit und Abschottung entgegen aller üblichen Absprachen zwischen Regierung und Opposition trickreich umsetzt. Es ist eine kopfstehende Wirtschaft, in der man am Monatsende dafür bezahlen muss, arbeiten zu gehen, und das Verschleudern von Geld belohnt wird, ja sogar notwendig ist.

Eine Kakerlake in Menschengestalt an der Spitze der Britischen Regierung - was für eine grandiose Idee, absurd und satirisch von dem Schriftsteller, vor dem man sich wegen seiner vielen gelungenen Romane einfach nur verneigen kann. Dass McEwan ein Brexit-Gegner ist und das ihm zur Verfügung stehende Mittel der Kritik, das Schreiben, zeitnah und tagesaktuell ausnutzt, hätte hervorragend funktionieren können, wenn er seiner subtilen ironischen Art durchweg treu geblieben wäre. Auch die Kürze des Textes wäre nicht störend gewesen, aber im Verlauf der Handlung verliert sich McEwan, die Idee wirkt mit der Zeit „abgelutscht“ und massentauglich.
Die komplizierten Verstrickungen und Fäden, anfangs so geschickt gesponnen und mit dem klugen Witz erzählt, den ich bei McEwan schätze, verlieren sich, sprachlich flacht der Text ab, und es passiert auch nichts wirklich überraschendes mehr.

Dennoch habe ich das Buch gerne gelesen, denn es strotzt vor Widerstandsgeist, der sich zwar im zweiten Teil ein bisschen in Resignation zu wandeln scheint, so dass man sich am Ende traurig fragt, in welcher Zeit wir eigentlich leben, in der so etwas Verrücktes wie Reversalismus möglich sein könnte, in der Populismus Konflikte und Kriege heraufbeschwört und die Demokratie scheitert (zumindest in McEwans Text).

McEwan Fans dürften wie ich ein klein wenig enttäuscht sein. Zu schnell geschrieben, liest man in vielen Kritiken. Ich sehe es so, dass McEwan vielleicht ein einfaches Buch, für viele verständlich schrieb, und dabei sein subtiler Humor und seine ansonsten grandiosen Romankonstrukte ein bisschen auf der Strecke blieben.