Nach dem Ersten Weltkrieg bricht das Zeitalter der Utopien an.
1920 zieht es den jungen Hermann Oberth von Siebenbürgen nach Göttingen, um Physik zu studieren - die spannendste Wissenschaft der Zeit. Hermann will den Menschheitstraum von der Mondrakete verwirklichen. Als der Durchbruch nah ist, weisen seine Professoren ihn ab.
Seine lebenslustige Frau Tilla versucht, einen gemeinsamen Alltag als Familie zu ermöglichen, als doch jemand an Hermanns Forschung glaubt: Wernher von Braun, Mitglied der SS. Doch statt der Mondrakete soll Hermann die V2 mitentwickeln, eine »Vergeltungswaffe« für die Nazis. Seine Kinder Ilse und Julius verliert er an den Krieg. Und so stellt sich ihm und auch Tilla mit voller Wucht die Frage nach der eigenen Verantwortung für die Geschichte.Kaufen
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Es mag an meiner Ferne zur Physik und zur Raketentechnik liegen, dass ich den Name Hermann Oberth bisher nicht kannte. Dank der Romanbiografie "Die Erfindung des Countdowns" von Daniel Mellem und sich daraus ergebender eigener Recherchen weiß ich nun um einiges mehr über diesen Raketenpionier, der sich als Jugendlicher von Jules Verne inspirieren ließ und zum Lehrmeister von Wernher von Braun wurde.
Ein Leben für die Raketenforschung
1894 in Siebenbürgen und damit im Kaiserreich Österreich-Ungarn geboren, begeisterte sich Hermann Oberth bereits als Schüler für Raketen, zum Ärger seines Vaters, eines renommierten Mediziners, der den Sohn in seiner Nachfolge sah. Dieser jedoch träumte von einer Expedition zum Mond, skizzierte und berechnete, experimentierte mit Flüssigbrennstoff, steckte Rückschläge weg und ersann schließlich, als er trotz aller Vorbehalte gegen Volksdeutsche endlich in Göttingen Physik studieren durfte, das zweistufige Konstruktionsprinzip. Seiner Zeit voraus fand er weder in Göttingen noch in Heidelberg einen Doktorvater und konnte seinen Ideen nur mit einer Veröffentlichung auf eigene Kosten Gehör verschaffen. Den Traum einer Reise zum Mond tauschte er früh gegen Pläne für eine Raketenwaffe. Eine Zwischenstation 1928/29 als Berater bei Fritz Langs Film "Die Frau im Mond" führte ihn mit dem Studenten Wernher von Braun zusammen, der seinen alten Lehrer 1941 zum Bau der Aggregat 4 (später V2 genannt) in die Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf Usedom und 1955 zur Vorgängerorganisation der NASA nach Huntsville/Alabama holte.
Struktur und Stil
In elf Kapitel packt Daniel Mellem fast hundert Jahre und zählt von zehn (Kindheit) rückwärts bis null (Start der Apollo 11 vor Oberths Augen). Sachlich und ohne mich als Laien technisch zu überfordern schildert der promovierte Physiker Mellem ein Leben mit weit mehr Tiefen als Höhen, gleichermaßen im privaten wie im beruflichen oder politischen Feld.
Umgang mit biografischen Fakten
Trotz Oberths unzweifelhafter Bedeutung für die Raketenforschung gibt es bis heute keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biografie, was Spielräume für die Romanbiografie bot. Auf knapp 300 Seiten erzählt Mellem Oberths Leben in Episoden. Auch wenn mir diese Beschränkung prinzipiell gut gefiel, störten mich zwei Fehlstellen sehr: Die Studiensemester der Medizin vor und nach dem Ersten Weltkrieg und das Staatsexamen an der rumänischen Universität Klausenburg mit der abgelehnten Dissertation als Diplomarbeit wären für mich zum Verständnis von Bedeutung gewesen.
Ein gescheitertes Leben
Verbaute die siebenbürgische Herkunft Oberth viele Wege, die einem Reichsdeutschen offen gestanden hätten? War er schlicht seiner Zeit voraus? Scheiterte er an seiner Unfähigkeit, sich und seine Ideen zu vermarkten? Lag es an seiner Sturheit, seiner Rechthaberei, seiner mangelnden Teamfähigkeit, die auch auf seiner lebensklugen Frau Tilla und den vier Kindern lasteten? Daniel Mellem bietet alle diese Gründe an, überlässt die Einschätzung - genau wie die Beurteilung seiner NS-Verstrickungen - jedoch uns Leserinnen und Lesern. Mein Mitgefühl mit dieser eigentlich tragischen Figur schlug spätestens mit seiner persönlichen Anbiederung an Hitler um. Mag jedoch der Pakt mit den Nazis aus seiner Besessenheit für die Raketentechnik noch erklärlich sein, so ist seine zeitweilige Mitgliedschaft in der NPD in den 1960er-Jahren aus Opposition gegen die Vergangenheitsbewältigung Adenauers und seine Unterstützung der „Stillen Hilfe“, von der auch NS-Täter profitierten, für mich unverzeihlich. Seinem späten Ruhm mit Auszeichnungen und Ehrungen tat das keinen Abbruch, bei mir bleibt ein bitterer Nachgeschmack.
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