Muriel Barberys Roman über eine kleine, hässliche, aber ungemein gebildete Concierge in Paris und eine altkluge Tochter reicher Eltern. Hinreißend komisch und zuweilen bitterböse erzählen die beiden sehr sympathischen Figuren von ihrem Leben, ihren Nachbarn im Stadtpalais, von Musik und Mangas, von Gott und der Welt. Eine großartige Gesellschaftssatire, ein sehr intelligenter Führer durch Kunst und Philosophie, die höchst unterhaltsame und anrührende Geschichte zweier Außenseiter.Kaufen
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Wie ein abgeschlossener Mikrokosmos inmitten der französischen und Pariser Gesellschaft ruht die Rue de Grenelle 7 mit ihren seit Jahrzehnten von den gleichen reichen Familien bewohnten Wohnpalästen auf 5 Etagen. Doch in diesem Mikrokosmos gibt es zwei Außenseiter, die beide dringend darum bemüht sind, ihr Außenseitertum nicht zu den anderen Bewohnern durchdringen zu lassen.
Da ist Renée, die Consierge des Hauses, die alles versucht, dem Rollenklischee ihrer Funktion gerecht zu werden und doch so gar nicht ins Bild passt, denn hinter der vermeintlich ungebildeten und ungepflegten alten Frau verbirgt sich ein Wesen, für das der Lebenssinn in Bildung, Kultur und Philosophie besteht. Das aber – so ihre Einschätzung - kann sie ihren Hausbewohnern, die von ihr einzig und allein das Verrichten von Dienstleistungen, nicht aber den gebildeten Austausch und Dialog erwarten, nicht zumuten und versucht es deshalb tagtäglich vor ihnen zu verbergen. Das führt zu absurden Situationen und Konstellationen, in denen sie in der Einkaufstasche etwa edle Speisen durch die Zutaten für einen derben Eintopf bedeckt, um ihre kulinarischen Vorlieben bloß nicht hervorschauen zu lassen. Und bald schon dann überdeckt der Eintopfgeruch im ganzen Treppenhaus alles das, was Renée sonst noch für ihr eigenes leibliches und seelisches Wohl in der Küche zaubert. In ähnlicher Weise überdeckt das Fernsehgeplapper der nachmittäglichen Soaps den Hörgenuss an klassischer Musik, den Renée sich nur im Verborgenen schenkt.
Und da ist als zweites Paloma, die als clevere Jugendliche die hohle Welt der sie umgebenden Erwachsenen für sich entlarvt hat.
<blockquote> „ So wenden wir unsere ganze Kraft auf, uns zu überzeugen, dass es Dinge gibt, die es wert sind, und dass das Leben daher einen Sinn hat. Ich mag noch so intelligent sein, ich weiß nicht, wie lange ich gegen diese biologische Tendenz werde ankämpfen können. Werde ich, wenn ich einmal in das Rennen der Erwachsenen eingestiegen bin, noch fähig sein, dem Gefühl der Absurdität die Stirn zu bieten? Ich glaube nicht.“ </blockquote>
Aus dieser fatalistischen Haltung zieht Paloma den vielleicht übertrieben konsequenten Schluss, niemals in das Erwachsenenalter einzutreten und stattdesse, an ihrem dreizehnten Selbstmord zu begehen. In dem Buch von Muriel Barbery begleiten wir Paloma in den letzten Wochen ihres geplant dem Ende zulaufenden Lebens auf ihrer Suche, dieser Zeit noch einen Sinn zu geben, indem sie „tiefgründige Gedanken“ sammelt, um sie auf Gehalt, Tiefe und Wahrhaftigkeit zu prüfen. Im Roman lernen wir 15 dieser tiefgründigen Gedanken – aus ihrer Sicht geschildert – kennen. Und doch bleibt ihr Entschluss bis zum Ende unerschütterlich. Keiner der geprüften Gedanken kann sie dazu veranlassen, die Absurdität der vorausliegenden Zukunft aufzulösen.
Der Leser, der in den Mikrokosmos der Rue de Grenelle 7 in abwechselnder Folge durch die Sicht von Renée und Paloma eintauchen kann, bekommt ziemlich schnell die Idee, dass ein Zusammentreffen der beiden miteinander Heilung und Lösung für beide bringen könnte. Doch es ist wie verhext – sie leben unter einem Dach und doch können sie zusammen nicht kommen. Die gesellschaftlichen Hürden sind – trotz aller räumlichen Nähe – doch einfach zu stark, auch wenn das gegenseitige Interesse an- und die Neugier aufeinander immer stärker wächst. So erfahren wir aus Palomas detaillierter Analyse über Wesen und Erscheinungsbild von Renée auch den Ursprung des zunächst rätselhaften Titels des Romans:
<blockquote> „ Madame Michel (=Renée) besitzt die Eleganz des Igels: Außen ist sie mit Stacheln gepanzert, eine echte Festung, aber ich ahne vage, dass sie innen auf genauso einfache Art raffiniert ist wie die Igel, diese kleinen Tiere, die nur scheinbar träge, entschieden ungesellig und schrecklich elegant sind.“ </blockquote>
Es bedarf dann auch noch eines Anstoßes von außen, dass das stabile Gleichgewicht des Nebeneinanders und des Versteckens aufgebrochen werden kann. Nach Jahrzehnten zieht in eine der Wohnungen im Haus ein neuer Mieter ein. Dieser ist so reich und angesehen wie die übrigen Bewohner auch, aber er kommt aus einer sehr anderen Welt – aus Japan. Monsieur Ozu erkennt dann auch sehr schnell das Versteckspiel der Consierge, durchbricht die gesellschaftliche Trennung zur niederen Welt der Loge der Consierge ohne die ansonsten anzutreffende Überheblichkeit der anderen Bewohner. Und so sucht er im Bemühen, die eigene Einsamkeit zu durchbrechen, Kontakt zu Renée und arrangiert Treffen mit ihr. Und mit diesem Aufbruch der Konventionen kommen sich auch Renée und Paloma näher.
Hier allerdings bleibt die Autorin dem Leser ein wenig schuldig, denn sie lässt es nicht zu, dass sich diese Beziehung so innig und eng entwickelt, wie es sich der Leser von Beginn des Buches an wünscht. Und es kommt auch nicht zu einem wirklichen Happy End, auch wenn der immer wieder angekündigte Selbstmord letztlich doch nicht stattfindet, denn es gibt die Erkenntnis:
<blockquote> „ Aber schließlich bin ich nur ein unglückliches kleine Mädchen, das im schlimmsten Moment die Chance hat, glückliche Begegnungen zu machen. Habe ich moralisch gesehen das Recht, diese Chance vorbeigehen zu lassen? Pah. Ich weiß es nicht. Im Grunde ist diese Geschichte eine Tragödie. Es gibt wertvolle Menschen, freue dich!, hatte ich Lust, mir zu sagen, aber welche Trostlosigkeit herrscht doch letztlich! Sie enden im Regen! Ich weiß gar nicht mehr, was ich denken soll. Einen Moment lang glaubte ich, dass ich meine Berufung gefunden habe; ich glaubte zu verstehen, dass ich die anderen heilen muss, um mich selbst zu heilen, wenigstens die ‚heilbaren‘ anderen, diejenigen, die gerettet werden können, statt dass ich Trübsal blase, weil ich die anderen nicht retten kann.“ </blockquote>
Aber zu dem ausbleibenden Happy End werde ich hier natürlich nicht mehr verraten.
Begeben Sie sich doch auf die Reise durch diesen Mikrokosmos Rue de Grenelle 7 im lesenswerten Roman der Muriel Barbery. Sie werden dadurch auf unterschiedliche philosophische Fragen gestoßen und einen kritischen und sich selbst hinterfragenden Lebensoptimismus entdecken können, der das Buch zu seinem Erfolg geführt hat und jedem Leser eine Tür zu neuen Gedanken öffnen kann.
Von mir 4 dicke Sterne.