Rezension Rezension (4/5*) zu Der Sprung von Simone Lappert.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Verwobene Biographien


Der Roman der jungen Schweizer Autorin Simone Lappert beginnt spektakulär. Eine namenlose Frau steht auf dem Dach eines Hauses und lässt sich nach unten fallen. Wer sie ist, warum sie springt und ob sie den Sprung überlebt, erfahren wir nicht auf den ersten anderthalb Seiten.
Stattdessen blendet die Autorin einen Tag zurück. Verschiedene Protagonisten tauchen in kurzen Kapiteln auf. So erfährt der Leser zunächst von Felix, einem jungen Polizisten oder von Egon, einem ehemaligen Hutmacher, der nun aber in einer Wurstfabrik arbeitet. Und er lernt Finn kennen, einen 29-jährigen Fahrradkurier, der von einer Weltreise träumt. Momentan ist er frisch verliebt in Manu, die sich als „ Pflanzenretterin“ versteht. Theres betreibt mit ihrem Mann ein Lebensmittelgeschäft, das schon bessere Tage gesehen hat. Und der obdachlose Henry verdient sein Geld mit dem Verkauf von Fragen, wie „Wann und warum hast du das letzte Mal geweint?“
Als Leser versucht man den Überblick zu behalten und ist gespannt, welche Rolle die einzelnen Figuren in der Geschichte spielen werden.
Erst im zweiten Teil des Romans wird die junge Frau auf dem Dach von einer Passantin entdeckt. Die alarmiert die Polizei und Felix, den der Leser schon kennt, hat seinen Einsatz bei der Rettungsaktion. Diese zieht sich über einen Tag lang hin. Bald stehen die ersten Gaffer auf der Straße, Journalisten wittern die große Story, sogar ein Fernsehteam rückt an.
Nun erzählt die Autorin kapitelweise,, wie die einzelnen Protagonisten auf die Situation reagieren, bzw. welche Auswirkungen diese auf sie hat. Felix z.B. sieht sich mit einem lang unterdrückten Trauma konfrontiert. Theres und ihr Mann machen mit den Schaulustigen nochmals das Geschäft ihres Lebens. Ein junges Mädchen befreit sich aus ihrer Außenseiterrolle. Die Schwester der potentiellen Selbstmörderin wird aus ihrem Alltag gerissen. Und endlich erfährt der Leser auch die Identität der geheimnisvollen Frau auf dem Dach.
Aber er muss bis zum letzten Teil des Buches warten, um die Gründe für ihr Verhalten zu erfahren und um zu wissen, ob sie den Sprung überlebt.
Langsam baut Simone Lappert die Spannung ihrer Geschichte auf. Sie entwirft auf wenigen Seiten ganze Biographien, die ein breites Spektrum unserer Gesellschaft abbilden. Die Figuren sind authentisch und es entstehen nach und nach Verbindungslinien zwischen ihnen ( nicht alle sind unbedingt schlüssig). Plötzlich werden sie durch ein ungewöhnliches Ereignis aus ihrem Alltagstrott herausgerissen und manche nützen die Chance , ihr Leben zu verändern. Gleichzeitig wirft die Autorin einen kritischen Blick auf den Voyerismus unserer Zeit.
Auch sprachlich überzeugt das Buch.

 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Eine schöne Rezension, liebe @RuLeka !
Auch ich habe den Roman mit 4 Sternen bewertet, die Rezi findest du im Forum.
Stärker als dich haben mich einige sehr stereotyp geratene Figuren gestört (Polizist, Winnie, die Schwester der Springerin). Wenn man sich darauf erstmal fixiert, wird es nicht besser....
Dennoch ein absolut lesenswertes Buch!
 

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