Rezension Rezension (4/5*) zu Der Petticoat-Mörder: Fred Lemkes erster Fall (Lemke-von Stain-Serie 1) von Le.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
5.835
7.675
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Ein leiser Reihen-Auftakt...

Berlin 1958 – Fred Lemke, ehemals Laternenanzünder, jetzt Quereinsteiger bei der akut unterbesetzten Berliner Kriminalpolizei, wird mit seinem ersten Mordfall betraut. Am Ufer des Fennsees wurde eine männliche Leiche gefunden. Sein Kollege würde den Fall am liebsten als Raubmord klassifizieren und zu den Akten legen, doch Lemke sieht die Sache anders. Zuerst geraten Ehefrau, Haushälterin und Geliebte des Toten ins Visier, doch dann erfährt er mehr über die Vergangenheit des Opfers und über dessen Verstrickungen in den Nationalsozialismus. In einem Berlin, in dem aus den Kellern zerbombter Häuser Rockmusik dringt, und wo sich die jungen Leute auf den Straßen kleiden wie die großen amerikanischen Stars, ermittelt Fred Lemke gemeinsam mit seiner Kollegin, der selbstbewusst-schillernden Baronesse Ellen von Stain. Und sie stoßen dabei auf Widerstände, die zeigen, wie viel Macht die alten Kader noch immer haben.

Mit dem ersten Fall des Ermittlerduos Fred Lemke und Ellen von Stain im Berlin der 50er Jahre präsentiert Leonard Bell (ein Pseudonym) einen leisen Reihen-Auftakt. Der 23jährige Fred Lemke kommt frisch aus seiner Polizei-Ausbildung und hat dort als Zweitschlechtester seines Lehrgangs abgeschlossen. Dies liegt weniger an seinem fehlenden Engagement oder Talent als vielmehr an seiner Art, Dinge zu hinterfragen und nicht einfach nur Befehle auszuführen.

Es hat ihn erstaunt, dass er mit diesem Zeugnis bei der Mordkommission angenommen wurde, und tatsächlich schaut von seinem direkten Vorgesetzten bis hin zum Pförtner zunächst jeder auf ihn herab. Auch die ebenfalls als Berufsanfängerin eingestellte Baronesse Ellen von Stain nimmt anfangs keine Notiz von Fred, benimmt sich aber auch keineswegs wie ein Neuling. Im Gegenteil: Fred stellt schnell fest, dass selbst die Vorgesetzten dieser neuen Kollegin nicht zu widersprechen wagen und dass diese sich viele Freiheiten herausnehmen kann.

Doch bevor Fred diesem Geheimnis um seine junge Kollegin auf die Spur kommen kann, wird er an einen Tatort gerufen. Während der dienstältere Kollege die Geschehnisse rasch als Raubmord abtut, schaut sich Fred am Tatort genauer um. Es gibt zahlreiche Indizien, die nahelegen, dass ein Raubmord auszuschließen ist - doch der Vorgesetzte will davon nichts hören. Und so beginnt Fred einen zähen Kampf gegen verschlossene Zeugen und Verdächtige, maulfaule Angehörige und widerborstige Kollgen. Ein mühseliges Unterfangen...

Vor allem als Fred in der Vergangenheit des Ermordeten zu ermitteln beginnt und dessen eindeutige Rolle während des Nationalsozialismus ans Licht kommt, erwacht der Widerstand der älteren Ermittler. Fred wird untersagt, weiter in der Richtung zu ermitteln, und alle Bestrebungen, mögliche Verdächtige in Verbindung mit der Vergangenheit des Opfers herauszufiltern, werden im Keim zu ersticken versucht. Alte Seilschaften ziehen sich bis ins Jahr 1958, und das braune Gedankengut ist keineswegs bereits aus allen Köpfen verschwunden. Im Gegenteil...


Fred versuchte, seinen Groll über alles, wofür die Nazis standen und was sie angerichtet hatten, zu unterdrücken. Es sind längst andere Zeiten, sagte er sich wie so oft in den letzten Jahren, wohl wissend, dass es nicht ganz der Wahrheit entsprach... (S. 140)


Der 23jährige Fred Lemke steht im Mittelpunkt der Erzählung, ihn begleitet der Leser bei seinen Ermittlungen sowie in seiner freien Zeit, in der er liest, durch Parks streift oder in seinem Skiff (Einer) rudert. Einzelne Aspekte seiner Vergangenheit fließen im Verlauf ein und runden die Charakterzeichnung ab. Er ist ein einsamer, nachdenklicher junger Mann, dem zu schaffen macht, wie zerstört sein Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Fred schließt nicht leicht Freundschaften, sehnt sich gleichzeitig aber nach Kontakt. Er weicht ungern von seinen Prinzipien ab und versucht seinen Weg geradlinig zu verfolgen - auch wenn ein anderer Weg womöglich leichter und weniger schmerzhaft wäre.

Dem jungen Polizisten zur Seite stellt der Autor vor allem starke Frauenfiguren. Da wäre zum einen die geheimnisumwitterte Ellen von Stain, die sich einen feuchte Kehricht darum schert, was andere von ihr denken könnten, die das Leben zu leben versteht und gewohnt ist, sich zu nehmen, wozu immer sie Lust hat. Zynisch und ironisch begegnet sie Fred häufig, gewährt ihm aber immer wieder auch Deckung und Feuerschutz seinen ihm wenig wohlgesonnenen Vorgesetzten gegenüber. Aber auch die Sekretärin des Polizeichefs sowie Freds Vermieterin sind solch starke Frauenfiguren - ungewöhnlich in einem von Männern dominierten Leben in den 50er Jahren. Diese drei sind alles andere als Nur-Hausfrauen, die dem Mann ein liebes Frauchen sind und ihm ein wohliges Heim bereiten. Mir persönlich hat dieser Aspekt sehr gut gefallen.

Die Ermittlungen selbst liefen etwas schleppend und - naja - anfängerfehlerbehaftet. So oft, wie Fred sich Beulen und Blessuren eingefangen hat und von den Vorschriften bei den Ermittlungen abgewichen ist - erstaunlich. Das fand ich nicht immer überzeugend, aber zugegebenermaßen hatte der junge Polizist auch niemand Erfahrenen zur Unterstützung an seiner Seite. Um dem Mordfall wirklich auf den Grund zu gehen, war Fred auf sich allein angewiesen - und so brachte er sich und andere ein ums andere Mal in Gefahr.

Was mir dagegen sehr gut gefallen hat, das war die authentische Atmosphäre sowie das detaillierte Bild der Stadt Berlin (West) in den 50er Jahren. Seien es die Straßenzüge, geprägt von Lücken und Ruinen auf der einen Seite, hässlich-funktionalen Bauten auf der anderen, dem aufkommenden Aufschwung mit der krassen Änderung in Mode und Musik, dem zunehmenden Autoverkehr, dem Verschwinden der Gaslaternen, den Folgen der Besetzung der Stadt durch die Siegermächte, die zunehmende Trennung von Ost und West, die Nachwehen des Krieges und des Nationalsozialismus u.v.m. Da kann ich nur sagen: wow, eine tolle Recherche, die da in beinahe jeder Zeile ersichtlich wird.

Alles in allem habe ich den jungen Polizisten Fred Lemke gerne bei seinem ersten Fall begleitet und hoffe auf mehr! Ein Charakter, der sich entwickeln kann... Für Fans historischer Krimis: empfehlenswert!


© Parden