Rezension Rezension (4/5*) zu Der Knochensammler - Die Ernte: Thriller von Fiona Cummins.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der Knochensammler - Die Ernte: Thriller von Fiona Cummins
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Trotz kleiner Schwächen sehr packend!

Ein Serienkiller, der menschliche Knochen mit Deformierungen sammelt? Die Grundidee des Thrillers klang in meinen Ohren beunruhigend, spannend und kontrovers. Besonders, da ich mich sehr für Psychologie und Medizin interessiere, reizte es mich direkt, das Buch zu lesen!

Andererseits bin ich grundsätzlich skeptisch, wenn in einem Buch Menschen mit ungewöhnlichen, seltenen Krankheiten eine Rolle spielen. Meines Erachtens ist das eine Gratwanderung: Behandelt der Autor diese Charaktere mit Respekt, werden sie komplex und vielschichtig beschrieben und nicht nur auf ihre Krankheiten reduziert? Wurden die medizinischen Fakten gut recherchiert? Oder sind sie wenig mehr als Aufhänger für literarischen Voyeurismus und billige Sensationsgier? Gerade, wenn es um kranke Kinder geht, ist die Gefahr hoch, dass die Krankheit zum Gimmick verkommt – insbesondere, wenn sie aufgrund ihrer Krankheit in die Opferrolle gedrängt werden.

Aber Jakey und Clara, die sich der Knochensammler als seine nächsten Opfer ausgesucht hat, sind mehr als ihre deformierten Knochen: Fiona Cummins zeigt, dass sie im Herzen ganz normale Kinder sind, mit den gleichen Wünschen und Vorlieben wie ihre gesunden Altersgenossen - auch wenn nicht alles für sie möglich ist. Jakey will Fußball spielen und mit seinem Dad Fahrradfahren üben. Clara wünscht sich, dass ihre Mama mehr Zeit für sie hat, und liebt Bonbons.

Dennoch erfährt der Leser viel über ihre Krankheiten: FOP (Fibrodysplasia Ossificans Progressiva) bei Jakey, 'Spalthände' (Ektrodaktylie) bei der kleinen Clara. Ich habe zufällig vor kurzem eine Dokumentation über FOP gesehen, und mir kam im Buch alles fundiert recherchiert und gut erklärt vor, ohne es skrupellos auszuschlachten.

Die Charaktere fand ich generell sehr gut geschrieben, gerade weil hier niemand eindeutig und ausschließlich als gut oder böse gezeigt wird. Der Vater von Jakey zum Beispiel liebt seinen Sohn bedingungslos, aber er ist auch ein Mensch, der oft den Weg des geringsten Widerstands geht und seine Frau mit den Schwierigkeiten alleine lässt. Der Knochensammler hingegen ist nicht nur ein unmenschliches Monster, obwohl seine Taten monströs sind. Was er tut, wird niemals entschuldigt oder heruntergespielt, aber man erfährt einiges über sein Leben, was zumindest erklärt, warum er so geworden ist. Viele Charaktere waren mir nicht sonderlich sympathisch; die Mutter von Clara hätte ich mehr als einmal am liebsten angeschrieben. Aber interessant und glaubhaft fand ich sie alle.

Die Geschichte wird aus wechselnden Blickwinkeln erzählt, so dass der Leser sie nach und nach zusammensetzen kann. Spannend ist das meiner Meinung nach von Anfang bis Ende - obwohl es durchaus Passagen gab, in denen die Ermittler nicht so recht weiterkommen und das Augenmerk mehr auf den persönlichen Dramen der betroffenen Familien und der Ermittler lag. Aber auch das las sich für mich fesselnd, so dass das Buch mir deutlich kürzer vorkam als 480 Seiten!

Die verschiedenen Handlungsstränge werden sehr geschickt miteinander verwoben, und auch, wenn man sich im Laufe der Geschichte das ein oder andere zusammenreimen kann, wird es nie zu vorhersehbar.

Gegen Ende überschlagen sich dann die Ereignisse, und hier muss ich leider sagen, dass ich nicht alles logisch oder schlüssig fand. So bricht zum Beispiel in einer dramatischen Szene ohne ersichtlichen Grund ein Feuer aus, was wirklich nicht nötig gewesen wäre. Auch der Zufall wird das ein oder andere Mal überstrapaziert. Die Ermittlerin Etta Fitzroy hat zum Beispiel die kleine Marotte, dass sie gerne Rolltreppe fährt, wenn sie nachdenken muss, und als sie gerade nicht weiterkommt, sieht sie auf einmal an der Wand der Rolltreppe ein Plakat, das sie auf die richtige Spur bringt...

Der Schreibstil beherrscht die unterschiedlichsten Nuancen, von hektischer Action bis unterschwellig düsterer, ruhiger Atmosphäre. Mir hat er sehr gut gefallen, und ich hatte auch nie das Gefühl, einen 08/15-Standardthriller zu lesen. (Allerdings haben sich in die Übersetzung fehlende Wörter und Schreibfehler eingeschlichen.)

Fazit:
Der Thriller hat mich von Anfang an gepackt und trotz kleiner Schwächen auch nicht mehr losgelassen. Es geht um einen Killer, der die Skelette von Menschen mit deformierenden Knochenkrankheiten sammelt und sich als nächste Opfer zwei Kinder auserwählt hat. Für die Ermittler beginnt ein Rennen gegen die Zeit...

Obwohl es viel um die seltenen Krankheiten geht, und um die Auswirkungen auf das tägliche Leben betroffener Familien, wird das in meinen Augen nicht sensationslüstern ausgeschlachtet, sondern gut recherchiert und mit Respekt vor dem Leben erkrankter Menschen geschildert. Obwohl es auch ruhige Passagen gibt, war der Spannungbogen für mich immer sehr hoch, und auch die Charaktere fand ich überzeugend geschrieben. Mein einziges Manko sind kleine logische Schwächen und eine Häufung von Zufällen gegen Ende.