Rezension (4/5*) zu Der Inselmann: Roman von Dirk Gieselmann

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29. März 2022
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Mainz
Buchinformationen und Rezensionen zu Der Inselmann: Roman von Dirk Gieselmann
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Reif für die Insel?

Die Handlung beginnt mit dem Entschluss von Hans Eltern, dem Alltag zu entfliehen und die Hoffnungen auf ein Inselleben zu setzen. Wir wissen nichts Genaueres über den Handlungsort und die konkreten Umstände. Während dieser Schritt für seine Eltern eine Notwendigkeit zu sein scheint, erfährt Hans die Veränderung als eine Art Abenteuer. So wird es ihm möglich, nervenden Klassenkameraden zu entfliehen und auf der Insel sein eigener König zu sein.

Atmosphärische Bilder ziehen auf und wechseln einander ab. Da ist zunächst das schier endlos erscheinde Warten auf das Schiff in eisiger Kälte, das sie zur Insel bringen soll. Die Ankunft steht ebenfalls nicht unter einem guten Stern, die erhoffte Wende scheint auszubleiben. Düster geht es weiter mit dem Fund eines toten Kalbes, eines abgemagerten Hundes, einem ins Wasser gegangenen Schäfers und am Ende der brieflichen Anweisung, Hans habe zu Beginn September in der Schule zu erscheinen.

Hans pendelt zur Schule. Der Alltag hat ihn wieder. Er wünscht sich fort, fernab der nervenden Kinder, die in ihm einen Verräter sehen. Diesen düsteren Einbruch in das hoffnungsfrohe Inselleben, in dem sich der Junge gerade erst einzurichten beginnt, wird von Gieselmann gekonnt inszeniert - auch in sprachlicher Hinsicht.

Doch Hans fasst einen Entschluss. Er will ausbrechen, beginnt die Schule zu schwänzen. Dies bleibt nicht ungestraft, und so landet er in einer Besserungsanstalt, in welcher die Kinder und Jugendlichen zur Disziplin gedrillt werden. Ziel ist es, die Kinder und deren Widerstand zu brechen - notfalls auch mit Gewalt. Hans lässt dies jedoch kalt. Es scheint, die Sehnsucht, auf die Insel und zu seinen Eltern zurückkehren zu können, hält ihn aufrecht. Schließlich kommt der Tag X und Hans kehrt zurück....

Den Roman habe ich sehr gerne gelesen. Der Autor überzeugt mit einer sehr bildhaften, atmosphärischen und teils poetischen Sprache. Die Atmosphäre des einsamen und verlassenen Jungen ist sehr erdrückend geschildert. Etwas schwer habe ich damit getan, dass vieles nur angedeutet bleibt. Letztlich könnte die Geschichte vielleicht überall spielen. Es scheint nicht relevant, wo das Geschehen sich ereignet, und was die konkreten Gründe für die Eltern sind, auf eine Insel überzusiedeln. Am Ende scheint es mir ein gesellschaftskritischer Roman über die Unmöglichkeit zu sein, der Gesellschaft und ihren Zwängen zu entkommen. Hans sucht Einsamkeit und Individualität. Auf der Insel scheint er Außenseiter sein zu dürfen, so dass er sich kurzfristig vielleicht wie ein König fühlt. Doch dauerhaft funktioniert dies nicht. Die Realität bricht in diese Wunschvorstellung herein und es wird klar: gesellschaftlichen Zwängen kann man nicht entrinnen. Die Botschaft scheint düster. Zumindest in meiner Lesart.

Ich habe das Buch insgesamt betrachtet trotz der bleibenden Leerstellen sehr gerne gelesen und empfehle es gerne weiter.