Rezension Rezension (4/5*) zu Deine kalten Hände: Roman von Han Kang.

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Auf der Suche nach Nähe und Wahrhaftigkeit...

Als der Bildhauer Jang Unhyong spurlos verschwindet, hinterlässt er eine Vielzahl außergewöhnlicher Gipsabdrücke von Händen und Körpern. Und ein Tagebuch, in dem er seine Suche im Leben und in der Kunst schildert: nach einer von Eifersucht, Neid und Verrat geprägten Kindheit wird er zum Außenseiter und nähert sich Menschen nur in seiner Kunst. Als er einer jungen Studentin begegnet, die, stark übergewichtig, unter ihrem Körper leidet, sind es ihre Hände, die ihn faszinieren und von denen er zahllose Gipsabdrücke anfertigt. Nur langsam öffnet sich die junge Frau ihm und lässt einen Blick hinter die Maske ihres deformierten Körpers zu. Bald schon ist der Künstler getrieben von der Sehsucht, ihr nahe zu kommen...

Nachdem ich 'Die Vegetarierin' und 'Das Menschenwerk' von Han Kang vor einiger Zeit gelesen habe, war ich neugierig auf den neuesten Roman der südkoreanischen Autorin. Anfangs war ich etwas irritiert, denn wenn ich eines gelernt habe, dann die Tatsache, dass Han Kangs Schreiben in jedem Fall eines kennzeichnet: Verstörung. Dies war hier beim Lesen jedoch nur rudimentär der Fall, was mich verwunderte. Als ich schließlich erfasste, dass sie diesen Roman bereits 2002 veröffentlicht hatte - also deutlich vor den anderen beiden genannten Werken -, klärte sich die Verwirrung. Es wirkt tatsächlich wie ein Roman 'davor', beispielsweise aufgrund von deutlich weniger surrealen Szenen.

In eine kurze Rahmenhandlung eingebunden, wird die Erzählung um den Bildhauer chronologisch präsentiert, entsprechend der Einträge von Jang Unhyong in dessen Tagebuch. In meist recht kurz gehaltenen Kapiteln wechseln Zeit und Ort, wobei das Atelier des Künstlers schon eine dominante Stellung einnimmt. Wie auch in ihren anderen Romanen, wählt Han Kang hier einen distanzierten Schreibstil, klar und wenig poetisch, so dass der Leser die Figuren zwar genau betrachten kann, ihnen aber zu keinem Zeitpunkt wirklich nahe kommt. Dies wirkt phasenweise befremdlich und kühl, pointiert damit andererseits aber deutlicher die eigentliche Fragestellung des Romans.

Han Kang beschränkt sich in dieser Erzählung auf wenige Charaktere, wobei der Bildhauer Jang Unhyong im Mittelpunkt steht. Andere Figuren werden namentlich nicht erwähnt, sondern mit P., L. und E. abgekürzt, ebenso wie die Schriftstellerin H., die als Ich-Erzählerin der Rahmenhandlung fungiert. Von klein auf erkennt Unhyong, dass die Menschen stets ihr wahres Wesen hinter einer Maske verstecken - alles ist mehr Schein als Sein. Hände drücken oft mehr aus als das Gesicht eines Menschen, weshalb der Bildhauer eine Zeitlang fasziniert von diesen Körperteilen ist und Gipsabdrücke von ihnen fertigt. Aber auch Hände können Wahrheiten verbergen, und Unyhongs Suche gilt dem wahren Kern eines Menschen und damit der wahren Nähe zu ihm. Eine große Einsamkeit begleitet ihn dabei zeitlebens, denn die Wahrhaftigkeit will sich ihm einfach nicht zeigen.

Die Handlung selbst ist meist wenig aufregend, die inneren Vorgänge sind da weitaus spannender. Die Fragestellung: 'Wer sind wir wirklich - wer die anderen?' durchzieht den Roman und beschäftigt nicht nur den Bildhauer Unhyon, sondern lässt auch mich als Leser nicht kalt. Und auch die Autorin bekennt in ihrem Nachwort:


"Der Roman (...) veränderte meinen Blick, meine Art zu hören und zu lieben. Still brachte er meine Seele an Orte, an denen sie noch nie gewesen war." (S. 312)


Ein früher Roman der südkoreanischen Autorin Han Kang, der auf ihr wirkliches Können hindeutet, allerdings noch weniger Spuren der Verstörung aufweist als die späteren Werke. Eine Erzählung, durch die ich mühelos gleiten konnte, deren existenzielle Fragestellung mich beim Lesen beschäftigte und die ich trotz aller Distanziertheit wirklich mochte.


© Parden