Rezension Rezension (4/5*) zu Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford: Roman von James McBride.

Bibliomarie

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10. September 2015
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Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford

John Brown’s body lies a-mouldring in the grave – but his soul goes marching on
Jeder kennt diesen berühmten Marsch, aber außerhalb der USA kennen wenige den Mann, dem er gewidmet ist. John Brown war ein bibelfester strenger Mann, der aus tiefster gläubiger Überzeugung ein Gegner der Sklaverei, ein Abolitionist war, aber für seine Überzeugung vor keiner Gewalt und Gräueltaten zurückschreckte, heute würde man ihn vielleicht einen Fundamentalisten und Terroristen nennen. Nach dem berühmt-berüchtigen Massaker von Pottawatomie und einem erfolglosen Sklavenaufstand wurde er 1959 gefangengenommen und hingerichtet. Auch wenn sein Aufstand gegen die Sklaverei anfangs erfolglos war, legte er doch den ersten Grundstein zur Abschaffung der Sklaverei.
In Dutch Henry’s Kneipe verbringt der Sklavenjunge Henry seine Tage. Er ist dort Schuhputzer, während sein Vater als Barbier arbeitet. Sie gehören Dutch Henry Sherman, genau wie die Kneipe und die Möbel darin. Dutch ist ein gewalttätiger Mann, wie man wie Westen eben gewalttätig sein muss, um nicht unterzugehen. Keiner stellt das in Frage, nicht mal der kleine Henry. Der schaut, was er kriegen kann, egal ob Brot oder Bier und erzählt schlitzohrig davon. Henry erinnert an Huck Finn, im Leben zwar zu kurz gekommen, aber davon lässt man sich nicht unterkriegen. Sein Vater ist ein Prediger vor dem Herrn, wirft mit eigenwilligen Bibelsprüchen um sich, während er in der Kneipe die Gäste rasiert.Das gehört zum Amüsement der wilden rauen Trinker, die dieses Etablissement zum Huren, Saufen und Kartenspielen aufsuchen. In diesen Tagen ist viel die Rede von John Brown, einem Yankee, der den Südstaatlern doch glatt das Recht auf Sklavenhaltung streitig machen möchte. Dazu bedient er sich nicht nur der Bibel, er ist gewaltig und schreckt vor keiner Grausamkeit zurück, um seine Ziele durchzusetzen – mit alttestamentarischer Billigung – wie er überzeugt ist.Grade in dieser Kneipe treffen John Brown und Henry aufeinander. John Brown will die Sklaven, auch gegen ihren Willen, befreien und ist dabei mit Pulver und Blei nicht wählerisch, dass Henry’s Vater dabei stirbt, ist halt Pech. Wie alle Sklavenjungs trägt Henry einen alten Kartoffelsack und weil sich mit seinen Vorfahrinnen schon öfters ein weißer Sklavenhalter vergnügte, ist Henry auch ziemlich hell ausgefallen, auch sein Haar kräuselt sich nicht ganz stark. Aber dass John Brown ihn deswegen für ein Mädchen hält, ist ein starkes Stück. Doch bald erkennt Henry - jetzt Henrietta, dass das Ikognito ganz praktisch ist. Henrietta, inzwischen mit dem Spitznamen Onion gerufen, wird zum Glücksbringer für John Brown und zieht also mit dem alten Abolitionisten. Er trifft auf die absonderlichsten Menschen, lauscht den Predigten John Browns. Er freundet sich mit immer mehr mit ihm an, hängt an seinen Lippen und beginnt, sein Sklavenleben zu hinterfragen. Für ihn war sein Leben bisher so, wie es sein sollte. Dutch Henry war nicht schlimmer als andere, er kannte seine Stellung, Recht und Unrecht definierten andere und für Henry gab es keinen Grund sich dagegen aufzulehnen. In einem Tagebuch hält er seine Gedanken fest und erst als junger Mann ist er bereit aus seinem Kleid zu schlüpfen und sich der Welt zu stellen.
Einige Jahre nach „Die Farbe des Wasser“ ist James McBride erneut mit einem großen Roman in Erscheinung getreten. Ganz zurecht wurde das Buch mit dem National Book Award ausgezeichnet. Großartig wie er Henry zu Wort kommen lässt, ungeschminkt, derb, manchmal auch zotig, aber immer echt und wahrhaftig. Es ist ein Stück lebendiger, amerikanischer Geschichte, die den meisten Europäern fremd sein dürfte, Henry ist ein Bruder im Geiste von Huck Finn, vielleicht auch vom Simplicissimus. Fremd und etwas langatmig sind John Browns Predigten ausgefallen, das hat mir den Lesefluss immer wieder unterbrochen. Das ist aber fast der einzige Kritikpunkt. Henry Shakleford hat mich von der ersten Seite an gefesselt und in Bann gezogen.
Eins finde ich schade, der deutsche Titel ist so austauschbar, das englische Original „The Good Lord Bird“ hätte mir auch übersetzt besser gefallen.




 
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