Rezension Rezension (4/5*) zu Das Tiefland von Jhumpa Lahiri.

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.635
4.771
49
62
Essen
Unterschwellige Emotionswelten über Kontinente hinweg

Am Rande von Kalkutta am Ufer eines mit Wasserhyazinthen zugewachsenen Feuchtgebiets wachsen zwei Brüder heran, deren Schicksal sich auf sehr besondere Weise miteinander verknüpfen wird im Laufe ihres Lebens. Beide sind sehr unterschiedliche Charaktere und gestalten ihren Lebensweg auch entsprechend unterschiedlich. Beide schaffen es aus den ärmlichen Verhältnissen des Vorortes zu einer gehobenen Schul- und Universitätsausbildung. Doch während es den einen, Subhash, ins Ausland zu Studium und Unikarriere in den USA zieht, bleibt der andere, Udayan, im Land und wird in seinem Drang, soziale Verbesserungen auf den Weg zu bringen, hineingezogen in die subversiven Aktivitäten einer politischen Untergrundbewegung. In diesen vom politischen Regime bekämpften Aktivitäten kommt er in jungem Alter um, wird vor den Augen seiner Eltern und seiner jungen, schwangeren Ehefrau von den Polizeikräften getötet. Als Subhash aus diesem Anlass wieder aus den USA zu einem Besuch nach Hause zurückkehrt, entschließt er sich, seine Schwägerin Gauri aus der freud- und lieblosen Atmosphäre seines Elternhauses zu befreien und als deren Ehemann in die Fußstapfen seines Bruders zu treten. Er heiratet sie und nimmt sie mit an die amerikanische Ostküste, wo sie mit der Tochter Bela, die Subhash für ihren leiblichen Vater hält und nie etwas von ihrer wahren Geschichte erfahren soll. Das Familienleben verläuft einigermaßen harmonisch, wenn auch sehr unterkühlt und emotionslos. Vor allem Gauri, die zwar froh ist, dass Subhash sie aus der indischen Umgebung, in der es für sie keine Entwicklungsmöglichkeiten gab, herausgerissen hat, bringt keine emotionale Beziehung zu ihrem 2. Ehemann und auch nicht zu ihrer Tochter auf. Und auch Subhashs Gefühle und Bindungen in diesem Familienverbund, die zweifellos bestehen, werden im Buch nie als wirkliche Emotionen geschildert und deutlich. Das gleiche gilt in Bezug auf Gauri auch für ihre Gefühle zu ihrem ersten Ehemann, Subhashs Bruder Udayan. Er war ihre große Liebe. Das wird immer wieder betont. Gleichzeitig aber hat sie auch allen Grund dazu, große Wurt zu empfinden, denn – wie der Leser stückchenweise erfährt – hat er sie für seine politischen Aktivitäten ohne ihr Wissen ausgenutzt und in große Gefahr gebracht. Ließ er sie doch unter einem Vorwand die Wege und Aktivitäten eines Mannes auskundschaften, der später von der Gruppe ermordet werden sollte.
Wut, Liebe, Verantwortungsgefühl, Heimatlosigkeit, Bildungshunger, Mutter- und Vatergefühle – viele große Gefühle werden in dieser Kontinente überschreitenden Familiengeschichte thematisiert und doch bleibt der Roman irgendwie dauerhaft unterkühlt. Die Gefühle erscheinen lediglich unterschwellig und bleiben dauerhaft unter der Oberfläche, gleichwohl bekommt der Leser auch einen Eindruck davon, wie sehr sie die Figuren des Romans prägen und bewegen. Das schafft einerseits einen interessanten zwiespältigen Eindruck beim Lesen, hat mich aber auch oftmals ratlos und unzufrieden zurückgelassen. Es fällt mir deshalb auch schwer, den Roman zu bewerten. Seine Figuren, die voller Dramen stecken, diese aber so vollkommen nach außen abschirmen, das ist schon sehr speziell geschrieben. Ich vergebe mal 4 eher schwach funkelnde Sterne.


 
  • Hilfreicher Buchtipp
Reaktionen: Querleserin