Rezension Rezension (4/5*) zu Das Haus der verlorenen Kinder: Roman von Linda Winterberg.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Tyskebarna & Lebensborn

Ein paar Worte zum geschichtlichen Hintergrund:

Während der deutschen Besetzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg verliebten sich zahlreiche junge Norwegerinnen in den Feind im eigenen Land. Geschätzte 12.000 Tyskerbarna ("Deutschenkinder") entstanden aus solchen Verbindungen, was von deutscher Seite ausdrücklich gewünscht und gefördert wurde, galten die Norweger doch als "reine arische Rasse" (mit Ausnahme der dunkelhäutigen samischen Frauen, deren Blut als minderwertig angesehen wurde).

Von Seiten ihrer Landsleute wurden den Frauen überwiegend Hass und Verachtung entgegengebracht: von den eigenen Familien verstoßen, als Tyskertøs ("Deutschenflittchen") beschimpft. Vielen jungen Müttern blieb als einziger Ausweg das sogenannte "Lebensborn"-Projekt der Nazis. In dessen Heimen konnten schwangere Frauen nicht nur bis zur Geburt, sondern noch mehrere Monate darüber hinaus unentgeltlich leben. Einige der Kinder wurden letztendlich an parteitreue deutsche Familien zur Adoption abgegeben.

Nach dem Krieg wurden zwischen 3.000 und 5.000 der "Verräterinnen" in Norwegen in Lager eingesperrt. Nicht selten wurden sie vorher mit geschorenem Haar durch den Ort gejagt und mit faulem Obst beworfen. Letztendlich wurden viele aus Norwegen ausgewiesen.

Vor diesem Hintergrund entfaltet sich nun die Geschichte von "Das Haus der verlorenen Kinder".

Als Tochter einer Tyskebarn war ich natürlich sehr neugierig auf das Buch! Inwieweit würden die Erlebnisse von Lisbeth und Oda die Erlebnisse meiner Großmutter wiederspiegeln? Ich muss sagen, ich habe tatsächlich viele davon hier wiedergefunden - und war beeindruckt davon, wie überzeugend und authentisch alles geschildert wird, die Autorin scheint gründlich recherchiert zu haben.

Aber ich denke, auch für LeserInnen ohne persönlichen Bezug ist es ein mehr als lohnendes Buch! Nicht nur ist es ein sehr bewegendes Kapitel der Geschichte, sondern Linda Winterberg erzählt auf dieser Grundlage eine spannende, rührende, manchmal traurige, manchmal schöne Geschichte, die sich über zwei Länder und drei Generationen erstreckt. Trotz allem ist es eine Geschichte, in der es immer auch um Liebe geht - die Liebe zwischen Freundinnen, die Liebe zwischen Mutter und Kind, natürlich die Liebe zwischen Mann und Frau, aber auch die selbstlose Nächstenliebe. Kitschig wird es dabei in meinen Augen nie.

Vom Aufbau her hat mich das Buch an die Bücher von Lucinda Riley erinnert: die Geschichte springt hin und her zwischen den Zeiten und den Personen, und so nach und nach setzen sich die Puzzleteile zu einem großen Bild zusammen.

Manches kann man sich schon früh denken, manches erschien mir dann doch ein bisschen zu viel des Zufalls... Aber im Großen und Ganzen fand ich diese Verbindung von Historie, Liebesgeschichte und Familiengeheimnis gelungen umgesetzt.

In dem Teil der Geschichte, der in den 40er Jahren spielt, stehen die junge Norwegerin Lisbeth und ihre beste Freundin Oda im Mittelpunkt. Wir sehen die Geschehnisse aus Lisbeths Augen, und sie war mir direkt sehr sympathisch - sie ist liebenswert, mitfühlend, großzügig und aufgeschlossen, wenn auch ein bisschen naiv. Die aufbrausende, gelegentlich egoistische Oda ist in vielem ihr Gegenteil, aber auch sie habe ich schnell lieb gewonnen. Die Autorin bringt wunderbar rüber, mit welchen Gewissensbissen und Ängsten die beiden Frauen zu kämpfen haben. An keiner Stelle hatte ich den Eindruck, dass die beiden es auch nur im Geringsten verdient hatten, als Verräterinnen abgestempelt zu werden.

Der andere Teil der Geschichte spielt im Jahr 2005, und in diesem lernen wir Marie kennen, die gerade in einem Altenheim ihr Soziales Jahr absolviert und auf der Suche nach ihren Wurzeln ist - sie ist Vollwaise und ist den Spuren ihrer verstorbenen Mutter bis zu diesem Altenheim gefolgt, das in der Vergangenheit wohl einmal ein ganz anderes Heim war... Dort lernt sie Betty kennen, eine alte, aber immer noch lebenslustige Frau, die ebenfalls eine persönliche Suche an diesen Ort geführt hat. Auch diese beiden Frauen haben mir sehr gut gefallen, sie werden sehr lebendig beschrieben, mit all ihren Stärken, Schwächen und kleinen Marotten.

Überhaupt fand ich alle Charaktere gut gelungen, auch die eher nebensächlichen. Nur bei den Dialogen hatte ich manchmal den Eindruck, dass sich ganz verschiedene Charaktere gelegentlich zu ähnlich ausdrücken.

Der Schreibstil ist meines Erachtens eher einfach, mit oft kurzen Sätzen, aber dennoch flüssig, emotional und voller Atmosphäre.

Fazit:
Zwei junge norwegische Frauen verlieben sich im Krieg in deutsche Soldaten - mit Folgen... Zwei Generationen und 60 Jahre später treffen in Deutschland mehrere Menschen aufeinander, die alle auf verschiedene Weise auf der Suche sind. Dadurch brechen einerseits alte Wunden wieder auf, andererseits werden aber auch alte Geheimnisse aufgeklärt und alte Ungerechtigkeiten finden ein versöhnliches Ende.

Ich fand das Buch gut recherchiert und dabei spannend und emotional geschrieben, mit lebendigen Charakteren mit denen man gut mitfühlen kann.