Rezension Rezension (4/5*) zu Das Gewicht der Worte von Pascal Mercier.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Gewicht der Worte von Pascal Mercier
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Ein zweites Leben...

Seit seiner Kindheit ist Simon Leyland von Sprachen fasziniert. Gegen den Willen seiner Eltern wird er Übersetzer und verfolgt unbeirrt das Ziel, alle Sprachen zu lernen, die rund um das Mittelmeer gesprochen werden. Von London folgt er seiner Frau Livia nach Triest, wo sie einen Verlag geerbt hat. In der Stadt bedeutender Literaten glaubt er, den idealen Ort für seine Arbeit gefunden zu haben – bis ihn ein ärztlicher Irrtum aus der Bahn wirft. Doch dann erweist sich die vermeintliche Katastrophe als Wendepunkt, an dem er sein Leben noch einmal völlig neu einrichten kann.

'Welcome home, Sir!' - mit diesen Worten wird Simon Leyland am Londoner Flughafen begrüßt, nachdem er Triest, der Stadt, die für viele Jahre sein Lebensmittelpunkt war, vorerst den Rücken gekehrt hat. Er zieht in das Haus eines verstorbenen Freundes, der Umzug ein Symbol seines neuen, seines zweiten Lebens.

Aufgrund einer fatalen Fehldiagnose hat Simon Leyland den von seiner verstorbenen Frau geerbten Verlag verkauft und muss sich nun neu orientieren. Als gelernter Übersetzer mangelt es ihm nicht an Arbeit, doch was genau erhofft sich Simon nun von der wider Erwarten geschenkten Lebenszeit?

Der Austausch mit alten und neuen Freunden, mit seinen beiden Kindern, mit ehemaligen Kollegen*innen und vor allem mit seiner verstorbenen Frau soll Klarheit in Simons Gedanken- und Gefühlswelt bringen. Der Übersetzer hat sich angewöhnt, wichtige Episoden, Geschehnisse und Überlebungen mit seiner Frau zu teilen und schreibt ihr dazu Briefe - im Grunde ein ins Jenseits gerichtete Tagebuch.

Simon Leyland erweist sich als genauer Beobachter - sowohl sein eigener jeweiliger Zustand als auch die äußeren Geschehnisse sowie die Verhaltensweisen und Motive der ihn umgebenden Menschen werden detailliert und wortgewandt wiedergegeben und durchleuchtet. Ein sehr intellektuell anmutender Prozess, der die Liebe zum gesprochenen und geschriebenen Wort offenbart - und das gerne auch in verschiedenen Sprachen.

Dabei kommt der Leser den einzelnen Figuren punktuell durchaus nah, gerade wenn es um emotional aufwühlende Themen geht. Doch sie bleiben irgendwie trotz allem eindimensional, sind nur insoweit greifbar, wie es für die einzelnen Themen wichtig ist. Und derer gibt es viele. Angefangen beim Leben selbst: was fängt man mit der Lebenszeit an, gäbe es eine Alternative zum derzeitigen Lebensentwurf, was wäre, wenn man einzelne Weichen anders gestellt hätte? Was bedeuten die Begegnungen mit anderen Menschen für das eigene Leben?

Die Rollen als Vater, Ehemann, Freund und Kollege stehen hier ebenso auf dem Prüfstand wie die Sprachvirtuosität auf der einen Seite und die zeitweilige Sprachlosigkeit in zwischenmenschlichen Begegnungen auf der anderen. Was bedeutet Heimat und wie findet man heraus, wo das ist? Das Thema der Gefängnisstrafe taucht hier mehrfach auf, ebenso wie die Frage nach einer Legitimation eines Tötens auf Verlangen. Ein breites Spektrum also, hier sicher nicht vollständig aufgelistet, was das Anspruchsvolle des Romans verdeutlicht.

Die Bedeutung der Sprache sowie die Liebe zu ihr, intellektuell-philosophische Lebensthemen und zwischenmenschliche Begegnungen - das sind im Kern wohl die drei Säulen des Romans. Der Erzählfluss ist langsam, behäbig fast, was aber angesichts der Sprachgewaltigkeit und Detailverliebtheit auch notwendig scheint. Mühsam und teilweise auch nervig erschienen mir allerdings die ständigen Wiederholungen von bereits Gesagtem. Sowohl in Gesprächen als auch in den Briefen an seine verstorbene Frau erläutert Simon Leyland häufig Aspekte, die dem Leser zuvor bereits in aller Ausführlichkeit präsentiert wurden.

Alles in allem ein leiser Roman, der das Lesen entschleunigt, der philosophische Ansätze bereithält, der zum Nachdenken anregt und der den Leser schließlich mit einem leisen Lächeln entlässt...


© Parden

 
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