Rezension (4/5*) zu Brief an den Vater von Franz Kafka.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Brief an den Vater von Franz Kafka
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Lebendiges Zeugnis...

Der nie abgesandte Brief an den Vater (1919) gilt als Schlüssel zum dichterischen Werk Franz Kafkas (1883–1924). Dieses eindrucksvolle Zeugnis eines dramatischen Vater-Sohn-Konfliktes kann als ein ganz besonderes Dokument der Weltliteratur bezeichnet werden. Anklage und Selbstanalyse zugleich, vermittelt es dem Leser Einblick in das komplizierte Seelenleben des Autors. In eindringlichen Worten, denen man sich kaum entziehen kann, rechnet Kafka mit seinem autoritären Vater ab, der ihm so tyrannisch und übermächtig erschien...

Kafka hat den in seiner Handschrift mehr als hundert Seiten langen Brief 1919 in einer Pension in Schelesen geschrieben. Er hat den Brief nie abgeschickt oder ihn dem Vater übergeben. Mit 36 Jahren hat er sich daran gemacht, in Form eines Briefes mit dem Vater \'Frieden zu schließen\', den für sein gesamtes Leben so wichtigen Konflikt mit dem Vater schreibend zu bewältigen. Womöglich hatte der Brief seinen Zweck schon im Imaginären erfüllt: Im Bewusstsein, sich dem Vater einmal so vollständig wie möglich gegenüber zu erklären, sich überhaupt erklären zu können.
Dabei versteht Kafka seine Darstellung niemals als bloße Anklage, sondern ist immer bemüht, auch die Schuldlosigkeit des Vaters festzuhalten. Zwei zu unterschiedliche Wesen, ein von Anfang an übermächtiger Vater, dem weder das Kind noch der erwachsene Mann ebenbürtig werden konnten - so hören sich seine Entschuldigungen an. Dennoch litt Franz Kafka Zeit seines Lebens unter dem Eindruck des Vaters, wovon der Brief das lebendigste Zeugnis gibt.

Wann immer ich mich den Werken Kafkas bislang gewidmet habe, gab ich letztlich entmutigt auf - vielfach fehlte mir schlichtweg der Zugang, das Verständnis. Dieser Brief verdeutlicht jedenfalls eines, nämlich wo die für Kafka so typische Atmosphäre existenziellen Ausgeliefertseins ihren Anfang nimmt: im Elternhaus. In dieser brieflichen Auseinandersetzung mit seinem Vater, in der Kafka auch schon dessen Entgegnungen antizipiert und wiederum hierauf eingeht, liegt ein Schlüssel zum Verständnis seines schriftstellerischen Werkes.
Ein fiktiver Diskurs zwischen Vater und Sohn, der Kafka geholfen haben mag, seine Kindheit und Jugend Revue passieren zu lassen und letztlich auch aufzuarbeiten, der aber auch in jedem Fall dem Leser vor Augen führt, was Kafkas Werken zugrunde liegt. Ein beunruhigender aber aufschlussreicher Einblick...


© Parden

 
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