Rezension (4/5*) zu Blinder Spiegel von Salih Jamal

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Eine Poesie der Gewalt...

Paris. Sie und er. Elle und Lui. Sie begegnen sich in einem Café. Lui ist Fluglotse. Er wechselt die Städte und Flughäfen immer dann, wenn ihm das Leben zu eng wird. Sie ist die Frau eines Unternehmers, der in die Politik drängt und sie zu oft über lange Zeit allein zurücklässt. In einer obsessiven Affäre flüchten sie in Tagträume und halten sich gegenseitig in ihrer abgründigen Verlorenheit. Um etwas zu fühlen, suchen sie den Schmerz. Lui, indem er nach Nähe strebt, um dann vor ihr zu flüchten, und Elle in ihrer masochistischen Neigung, die ihr Mann an ihr ausnutzt. Beide ahnen, dass es für sie kein glückliches Ende geben wird, bis ihnen die Realität eine Entscheidung abverlangt. (Klappentext)

Es ist nun bereits etwa zwei Wochen her, seit ich diesen Kurzroman beendet habe (mit gerade einmal 120 Seiten kann man das Buch wohl als solchen bezeichnen, denke ich). Und noch immer fällt es mir schwer, die richtigen Worte für eine Rezension zu finden. So viel auf jeden Fall vorweg: meine Erwartungen waren immens hoch, denn im vergangen Jahr gehörte "Das perfekte Grau" von Salih Jamal zu meinen absoluten Highlights.

Nach dem Grau des vorherigen Titels wechselt der Autor diesmal zum Schwarz. Denn die Lektüre des schmalen Bandes mutet an wie ein Film Noir - düster und abgründig schildert er die zum Scheitern verurteilte Liebe zweier Verlorener. Angesiedelt ist die Erzählung in Paris, was die Noir-Stimmung noch atmosphärisch unterstreicht.

Namenlos bleiben sie, die beiden Getriebenen, die sich bei ihrer ersten Begegnung im tiefsten Inneren erkennen. Elle und Lui, sie und er, füreinander bestimmt. Erzählt wird die Geschichte in einer Art Rückblende von Lui, aufgeschrieben im Gefängnis, in dem Lui sitzt, weil... Ja, weil. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass ein Happy End wenig wahrscheinlich ist, die Gliederung der Erzählung in fünf Akte lässt das Drama erahnen.

Lui, ein rastloser Charakter, der jedesmal seine Zelte abbricht, wenn ihm etwas oder jemand zu nahe kommt und der seine Freiheit über alles stellt, begegnet zufällig in einem Pariser Café besagter Elle, einer von ihrem politisch ambitionierten Mann viel zu häufig allein gelassenen Frau. Ihrer beiderseitigen Sehnsüchte und Ängste treiben die zwei zueinander hin und gleichzeitig auseinander, hoffnungslos verstrickt und dabei tragisch.

Für mich blieben die Charaktere ein wenig schemenhaft und auf Distanz, was vom Autor sicherlich so gewollt war. Neben einzelnen zärtlichen und durchaus auch poetischen Passagen sorgen gewalttätige Episoden für eine gehörigen Kontrapunkt. Eine Poesie der Gewalt - diese muss nicht zwangsläufig auf Gefallen stoßen. Gleichzeitig wirkt die Erzählung aber auch schonungslos ehrlich. Melancholisch und verstörend.

Für mich persönlich nicht ganz das erhoffte Highlight, aber auch in diesem Roman zeigt Salih Jamal sein Können, tiefe und oftmals verzweifelte Gefühle in Sätze zu formen und erlebbar zu machen. Danke dafür!


© Parden