Rezension (4/5*) zu Berlin Friedrichstraße von Ulrike Schweikert

nicigirl85

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6. Februar 2018
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nicigirl85.blogspot.de
Berlin in stürmischen Zeiten...

Ich wollte mal wieder einen richtig schönen Schmöker mit Drama und Herzschmerz vor historischem Hintergrund lesen und genau dies bekommt man hier auch.

In der Geschichte geht es um Luise, Johannes und Robert, die bereits als Kinder eng befreundet sind. Aus Freundschaft wird Liebe, doch dann müssen die Jungs in den Krieg und nur Robert kehrt zurück, obwohl Johannes die erste Liebe von Luise war. Als die zwei übrig Gebliebenen den Bund der Ehe schließen, taucht der einst Verschollene wieder auf. Was macht das mit den Dreien und welche Auswirkungen haben die Kriegserlebnisse auf die Seelen aller?

Der Roman besticht vor allem durch tolle Schilderungen Berlins und sympathische Hauptfiguren. Mir gefiel, dass auch damalige Tabuthemen wie ungewollte Kinderlosigkeit, alleinerziehende, arme Mutter und ähnliches erwähnt werden, denn so war der enorme Klassenunterschied am meisten zu spüren.

Identifizieren konnte ich mich am ehesten mit Luise in ihrer nicht ganz glücklichen Ehe. Durch sie erleben wir live mit, was Ehemänner ihren Frauen verbieten und wie sie deren Leben einschränken konnten.

Berührt hat mich außerdem Hinterhofkind Ella, die für die Freundschaft alles tut, auch wenn sie sich selbst dabei oft vergisst. Sie möchte dazu gehören. Wie sie sich durchs Leben boxt, das hatte schon etwas für sich.

Ilse als queere Figur in die Handlung einzubauen mochte ich sehr, da es hier sehr natürlich geschildert wird. Ihre Kontakte zur Künstlerszene und wie sie die Abende verbringt, das hatte schon etwas für sich.

Außer dem Leben der Hauptfiguren erfährt man viel über die damaligen geschichtlichen Hintergründe und politischen Entwicklungen, was ich bei historischen Romanen sehr wichtig finde. Hier hatte ich aber das Gefühl, dass das zu sehr gewollt war. denn die Erwähnungen finden nicht nebenbei statt und fließen mal eben so in die Handlung ein, sondern sie wurden für meinen Geschmack zu sehr reingedrückt. Auch das Auftauchen diverser Künstler war mir einfach zu viel. Wäre Ilse eine berühmte Persönlichkeit, dann hätte ich das vollkommen genossen und geglaubt, aber so erschien mir die Menge an Künstlertreffen zu unglaubwürdig.

Sehr einfühlsam rüber gebracht waren die Emotionen zum Krieg und was dieser aus den einzelnen Akteuren gemacht hat. Hier hatte ich teils Gänsehaut beim Lesen.

Der Schreibstil Schweikerts ist gewohnt süffig und man kann gut ins Geschehen abtauchen und die Welt um sich herum vergessen.

Die Berlinkarte in der Klappe mochte ich, da kann man sich gut orientieren. Ein Glossar gibt es nicht.

Fazit: Ein solider Schmöker und erster Band einer Reihe, den ich gern gelesen habe. Die perfekte Kost für kalte Herbst- und Wintertage. Prädikat gut!