Rezension Rezension (4/5*) zu Becks letzter Sommer (detebe) von Benedict Wells.

Momo

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10. November 2014
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Das Buch hat mir recht gut

Das Buch hat mir recht gut gefallen, aber man merkt, dass es Wells erster Roman ist. Auch von der Struktur her, speziell am Schluss, so hatte ich den Eindruck, konnte er nicht so leicht das Ende finden; vielleicht hatte er ein Problem, sich von seinen Figuren zu lösen ...

Ich bin sehr gut in die Geschichte reingekommen und der junge Wells schafft es wirklich gut, sich mit einfachen Worten interessant auszudrücken.

Die drei Protagonisten waren aus meiner Sicht schräge Figuren. Der Gymnasiallehrer Robert Beck fällt sehr auf. Ich habe noch nie so einen Lehrer erlebt, der es absolut nicht schafft, die professionelle Distanz zu seinen SchülerInnen zu wahren. Hierbei schlägt der Lehrer stark über die Stränge.

Und trotzdem habe ich sehr über das Buch geschwärmt, denn ich fand den Roman dennoch recht spannend. Ich habe mich auf keiner Buchseite langweilen müssen.

Bevor die eigentliche Geschichte beginnt, befindet man sich in Becks Gegenwart, der mittlerweile in Neapel lebt. Nach einer Seite wird man allerdings wieder nach Deutschland geführt, genauer gesagt nach München, wo man Teil des Alltags dieses Becks wird. Am Ende des Buches befinden wir uns wieder in Neapel und die ganze Story wird rund. Diese Art von Struktur hat mir gut gefallen.

Beck, 37 Jahre alt, ist ein recht frustrierter Gymnasiallehrer, der mitten in einer Midlifecrisis zu stecken scheint. Das ist auch kein Wunder, denn an der Schule, an der er unterrichtet, war er selbst Schüler. Auch sein Vater unterrichtete schon an diesem Gymnasium. Diesbezüglich zeigt sein Leben wenig Bewegung, auch wenn er es zuvor mit der Musik in einer Band probiert hat und er darin kläglich gescheitert ist, da er auch hier über das jämmerliche Mittelmaß nicht hinauskommt. Beck hinterfragt permanent sein Leben und selbst als Lehrer bezeichnet er sich als Durchschnitt, frustriert darüber, dass er es nicht schaffen würde, in seinem Leben etwas ganz Außergewöhnliches auf die Beine zu stellen:

Zitat;
"Ich bin zu dumm für die Klugen und zu klug für die Dummen. "(2009, 204).

Rauli Kantas, 17 Jahre alt, ist Becks Schüler und ein noch verstecktes Musiktalent. Rauli kommt ursprünglich aus Litauen und spricht schlecht Deutsch. Seine Familie ist mittellos, seine finnische Mutter gestorben, Vater arbeitslos ... In der Schule ist Rauli sehr schwach und es droht nach der Zeugnisübergabe seine Schulentlassung. Beck unterrichtet in Raulis Klasse Deutsch und Musik.

Dann gibt es noch den 27-jährigen Charlie, auch ein absoluter Versager und er scheint in der Selbstfindungsphase steckengeblieben zu sein. Charlie, dunkelhäutig, spielte einst mit Beck in einer Musikband, die aber aufgelöst wurde, da sie sich auf dem Musikmarkt nicht durchsetzen konnte. Charlie entwickelt sich immer mehr zu einem nervigen Hypochonder …

Zwischen diesen drei Protagonisten bildet sich ein Dreiergespann; Personen, die durch Robert Beck zusammengefügt werden, und sich, durch Charlie initiiert, zu dritt von jetzt auf gleich mit Becks Schrottauto auf eine abenteuerliche Reise in die Türkei begeben, damit er diese Reise nicht alleine machen musste …

Beck lernt die 27-jährige Studentin Lara kennen, und merkt erst mit der Zeit, was er an ihr hat. Denn Beck ist alles andere als beziehungstauglich. Ständig läuft er davon, sobald Probleme in der Paarbeziehung aufkommen …

Beck verliebt sich zudem auch in seine 17-jährige Schülerin Anna Lind und erfährt in einem Schülerinnengetuschel, dass Anna Lind in Robert Beck verliebt ist. Beck belauscht beinahe unbemerkt den Gesprächen ... Doch auch Rauli verliebt sich in Anna und es kommt zwischen Beck und Rauli zu einem Konflikt, der aber mehr im Stillen ausgetragen wird, weitestgehend zumindest …

Beck ist nicht nur auf Anna eifersüchtig, sondern auch neidisch auf Raulis Musiktalent, das überdurchschnittlich sei. Beck fördert aber den Jungen auf dem Gebiet der Musik, trifft sich auch privat mit ihm und nimmt immer mehr die väterliche Rolle ein, die auch bei den anderen Jungen und Mädchen mittlerweile bekannt wird und stößt dabei auf das Gespött seiner SchülerInnen ... Spätestens hier hätte der Schulleiter Beck zur Rede stellen müssen.

Rauli führt ein Außenseiterleben, konsumiert Drogen, schreibt viele Zettelchen … Beck, der Möchtegernvater, lauert ihm auf, um mehr seinem sozialen Leben auf den Grund zu gehen …

Wer mehr über diese Geschichte und diesen Menschen erfahren möchte, dem empfehle ich zu diesem Buch.


Mein Fazit?

In dem Roman findet man jede Menge Weisheit, tiefgründige Gedanken und viele englischsprachige selbstgeschriebene Songs. Ich liebe zwar Musik, ich kenne mich aber mit der Musikwissenschaft viel zu wenig aus. Ich könnte jetzt nicht auf Anhieb sagen, ob ein Musiker Talent hat oder nur Durchschnitt ist, weshalb ich über die Musik hier wenig geschrieben habe. Aber die Musik nimmt in diesem Roman einen großen Raum ein, den ich auch als Musikunkundige trotzdem interessant fand.

Zudem hat mir persönlich ein Gedanke in diesem Buch besonders gut gefallen, den ich einfach hier festhalten muss. Die Frage, die sich Rauli stellt: Ist, wer gedankenbegabt ist, automatisch auch gedankengefährdet?

Dies fand ich sehr schön, denn ich kenne einige Menschen, die von sich behaupten, sie hätten Schwierigkeiten, sich über etwas, z. B. über ein gelesenes Buch, Gedanken zu machen. Ich kenne diese Schwierigkeit überhaupt nicht, denn mir geht es ein bisschen wie Rauli. Es denkt in mir von allein, ich muss nicht viel nachdenken, die Gedanken kommen immer von selbst, bei jedem Thema … Und ob man gedankengefährdet ist, könnte ich sogar bejahen, wenn man innerlich ganz unruhig wird, weil zu viel da ist und zu viel nachkommt, und man noch nicht fähig ist, diese von selbstkommenden Gedanken in Worte zu fassen. Danke, lieber Benedict Wells, für diesen wiederum so tollen Gedanken.

Insgesamt hat mir das Buch sehr gut gefallen, lediglich manche Szenen waren mir zu realitätsfremd. Dass ein Lehrer so stark in die Privatsphäre seines Schülers dringt, fand ich ein wenig surreal. So etwas spricht sich im wirklichen Leben normal in der Schülerszene recht schnell rum, penetrante Begebenheiten, die bis zu den Ohren des Schuldirektors dringen würden, der dem Lehrer Konsequenzen androhen müsste. Auch die abenteuerliche Reise in die Türkei fand ich wenig glaubwürdig.

 
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