Herr Schmidt taut auf.
Walter Schmidt ist ein Mann alter Schule: Er hat die Rente erreicht, ohne zu wissen, wie man sich eine Tütensuppe macht und ohne jemals einen Staubsauger bedient zu haben. Schließlich war da immer seine Ehefrau Barbara. Doch die steht eines Morgens nicht mehr auf. Und von da an wird alles anders.
Mit bitterbösem Witz und großer Warmherzigkeit zugleich erzählt Alina Bronsky, wie sich der unnahbare Walter Schmidt am Ende seines Lebens plötzlich neu erfinden muss: als Pflegekraft, als Hausmann und fürsorglicher Partner, der er nie gewesen ist in all den gemeinsamen Jahren mit Barbara. Und natürlich geht nicht nur in der Küche alles schief. Doch dann entdeckt Walter den Fernsehkoch Medinski und dessen Facebook-Seite, auf der er schon bald nicht nur Schritt-für-Schritt-Anleitungen findet, sondern auch unverhofften Beistand. Nach und nach beginnt Walters raue Fassade zu bröckeln – und mit ihr die alten Gewissheiten über sein Leben und seine Familie.Kaufen
Kaufen >
Barbara und Walter Schmidt waren ein Ehepaar alter Schule: Er verdiente das Geld, sie kümmerte sich um den Haushalt und die (mittlerweile erwachsenen) Kinder. Seit einigen Jahren im Ruhestand hat sich bei der Aufgabenverteilung nichts Wesentliches geändert: Barbara macht alles, Walter nichts.
„Als Herr Schmidt Freitagfrüh aufwachte und den Kaffeeduft vermisste, dachte er zuerst, dass Barbara im Schlaf gestorben sein könnte.“ (Erster Satz) So ist es zum Glück nicht, aber trotzdem funktioniert Barbara nicht mehr, denn nach einem Sturz im Bad muss sie fortan das Bett hüten. Zunächst reagiert Walter eher ungehalten und mürrisch auf die abrupte Änderung seiner Gewohnheiten. Bei alltäglichen Handgriffen wie Kaffeekochen oder gar Mahlzeiten Zubereiten ist Walter völlig überfordert. Die sich daraus ergebenden Misslichkeiten, die Dialoge mit der hilfsbereiten Bäckereiverkäuferin oder seinem Sohn haben durchaus eine parodistische Note.
Sobald die reichlichen Vorräte im Gefrierschrank aufgebraucht sind, muss sich Walter etwas einfallen lassen. In seiner Hilflosigkeit entwickelt er eine unbedarfte Fürsorge Barbara gegenüber. „Du musst auch essen, Barbara“, wird eines seiner Leitmotive. Wer isst, wird nämlich auch wieder gesund (wenn es doch nur so einfach wäre…). Auf der Facebookseite des Fernsehkochs Medinski holt sich Walter Rat, er scheut sich nicht zu fragen und lernt beflissen, einfache Gerichte zuzubereiten.
Im Zuge des Romans, der überwiegend die Perspektive von Herrn Schmidt, wie Walter fast durchgängig genannt wird, einnimmt, lernt man das Ehepaar besser kennen. Walter hat Zeit seines Lebens eine selektive Wahrnehmung gehabt: Dinge, die ihm unpassend erscheinen oder nicht in sein Konzept passen, werden konsequent ausgeblendet. Das Verhältnis zu seinen Kindern ist dadurch angespannt, auch für den Enkel hat er sich bislang nie interessiert. Folglich ist es Walter lästig, dass die Familie jetzt aus Sorge um die Mutter regelmäßig vorbeischaut und sein Leben zusätzlich durcheinander bringt.
Was als reine Komödie beginnt, bekommt durch den Fortgang der Geschichte und Walters Rückblicke immer mehr Tiefe. Walter Schmidt wird kein Sympathieträger, dazu ist er einfach zu verschroben, aber man bekommt ein gewisses Verständnis für ihn durch seine Herkunft und Biografie. Was mit Barbara los ist, bleibt lange ungeklärt. Ihre Krankheit sowie der unterschiedliche Umgang damit bleibt das Schwere im Roman. Die Geschichte lebt von der Interaktion der direkt und indirekt Beteiligten. Dazu gehören die Herren von Walters Männerstammtisch, seine Jugendfreundin Hanne, die enge Familie, Facebookfreunde oder die Frauen von Barbaras Kirchenkreis. Alle wollen auf ihre Art einem Mann helfen, der sich eigentlich nur die Rückkehr in sein altes, gewohntes Leben wünscht, der möchte, dass Barbara isst und wieder gesund wird, der alles ausblendet, was er nicht sehen will.
Wer die vorhergehenden Romane Alina Bronskys mochte, wird auch diesen gerne lesen. Die Autorin versteht es, Walters Lebensuntüchtigkeit auf humorvolle Weise darzustellen. Es ist fesselnd, den Protagonisten zu beobachten, seine unbeholfenen Bemühungen um Eigenständigkeit und Fürsorge zu verfolgen. Die zahlreichen Dialoge sind kurzweilig und (tragi-)komisch. Walter Schmidt macht durch die Krankheit seiner Frau eine Veränderung durch, er bekommt neue Einsichten, möchte manchen Fehler wieder gutmachen. Trotzdem bleibt er ein sehr ambivalenter Charakter, der seine Umwelt und den Leser zuweilen vor den Kopf stößt. Gerade das macht die Figur glaubwürdig. Es ist eben keine Entwicklung vom Saulus zum Paulus, sondern sie bleibt authentisch im Rahmen von Walters Anlagen und Möglichkeiten.
Auch wenn manches aus meiner Sicht überzeichnet wird, ist „Barbara stirbt nicht“ ein sehr lesenswerter Roman, der sich mit den Schwierigkeiten eines hoffentlich überholten Lebensmodells auseinandersetzt und zahlreiche Empfindungen beim Leser hervorzurufen vermag.
Lesern von "Barbara stirbt nicht: Roman" gefiel auch...
Alphabet (Quartbuch)
von: Kathy Page
Mein Gotland
von: Anne von Canal
Mrs Dalloway
von: Virginia Woolf