Rezension Rezension (4/5*) zu Alles richtig gemacht: Roman von Gregor Sander.

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
querleserin.blogspot.com
Freundschaft im wiedervereinigten Deutschland

Thomas Piepenburg, inzwischen 50 Jahre alt, wächst in Rostock Anfang der 70er Jahre auf. Sein Vater besitzt eine Drogerie und seine "Eltern taten eigentlich so, als würde es die DDR und ihren Sozialismus gar nicht geben." (25)
In ihrer alten Stadtvilla geht es ihnen gut und der Weg des Junior scheint vorgezeichnet - irgendwann soll Thomas das Geschäft seines Vaters übernehmen.

In der Schule lernt er Daniel Rehmer kennen - der ein völlig anderes Leben führt. Mit seiner sehr jungen, alleinerziehenden Mutter Christine haust Daniel in einer herunter gekommenen Wohnung in Rostock. Während den FDJ-Veranstaltungen ist er oft krank, "seine Schlampenmutter schreibe ihm die Entschuldigungsbriefe" (27) heißt es.

Doch die beiden Jungen aus so unterschiedlichen Familien werden Freunde, Thomas ist von dem unangepassten Jungen fasziniert, auch von dessen hübscher Mutter, die Gegenstand seiner ersten sexuellen Fantasien wird. Als sie älter sind, zieht Christine mit ihnen um die Häuser, trinkt, raucht und bietet Thomas einen krassen Kontrast zum konservativen Elternhaus.

Der Roman wird aus der Ich-Perspektive Thomas erzählt, beginnend in der Gegenwart - in der heutigen Zeit, in der er gerade von seiner Frau Stephanie verlassen worden ist, die die beiden Zwillinge Nina und Miriam (13) mitgenommen hat. Er sitzt in seinem Haus in Berlin - der alten "Ostberliner Botschaft von Libyen" an der Grenze zwischen Pankow und Prenzlauer Berg und fragt sich verzweifelt, warum seine Frau weggegangen ist. Er arbeitet als Partner in einer Kanzlei - der fleißigste scheint er nicht zu sein - und soll für seine Partnerin einen ihrer Klienten übernehmen, da diese keine Zeit hat. Es geht um Iwan.

"Das ganze Programm. Körperverletzung, schwerer Raub, Drogenhandel, Nötigung, Hehlerei, Zuhälterei. Aber jetzt, so beteuert Agneszka, sei er schon seit ein paar Jahren sauber und ein erfolgreicher Geschäftsmann." (16)
Thomas trifft ihn einem Wellnesshotel und dort erwartet ihn eine Überraschung. Sein alter Freund Daniel, den er seit 10 Jahren nicht mehr gesehen hat, steht plötzlich vor ihm.
Sukzessive wird zwischen Episoden aus der Vergangenheit Thomas und Daniels sowie aus der Gegenwart erzählt. Wir erfahren, wie Thomas eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann beginnt und Daniel Koch werden will, wie die beiden in Rostock gemeinsam in Daniels Wohnung ziehen, nachdem seine Mutter sich in Richtung Hamburg verabschiedet hat. Daniel und Thomas sind fast immer zusammen, dabei wird deutlich, dass Daniel der Unangepasste bleibt - seine politische Meinung kund tun und in der Wendezeit von Rechten zusammengeschlagen wird, während Thomas unbeteiligt daneben steht.

In dem Zusammenhang fand ich unsere Leserunde sehr erhellend, da einige der Mitdiskutierenden in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind und uns ihre Eindrücke und Erfahrungen aus jener Zeit geschildert haben - wenn man rechtsextreme Schläger gesehen hat, hieß es laufen...

Als "Wessi" kenne ich nur das, was uns aus den Medien vermittelt wurde und was die Romane der Wendezeit erzählen. Insofern bietet der Roman Einblicke in jene Zeit und zeigt auch auf, wie viel sich verändert hat, v.a. in Berlin, in dem der größte Teil des Romans spielt.

Warum haben sich Daniel und Thomas so lange nicht gesehen, obwohl sie doch beste Freunde sind und bis zu Thomas Heirat fast immer zusammen gewohnt haben? Warum hatte Daniel Thomas Pass und musste plötzlich aus Deutschland verschwinden? Kann Thomas Daniel einfach in dem Haus Iwans unterbringen, aus dem Thomas die Mieter vertreiben soll, damit Iwan es sanieren kann, um dort Eigentumswohnungen zu bauen und zu verkaufen?

Nachdem Thomas Daniel dort eine Bleibe organisiert hat, weil er ihn nicht in sein eigenes Haus mitnehmen will - schließlich darf Daniel nicht erfahren, dass Stephanie ihn verlassen hat - sieht er beim Besuch einer Mieterin, die er "vertreiben" soll, plötzlich seine Frau in der Wohnung, in der er Daniel untergebracht hat. Was tut sie dort?

Schritt für Schritt - am Ende werden es Laufschritte ;) - erfahren wir die Hintergründe zu dem Pass, zu Daniels plötzlichen Auftauchen, zu Stephanies Verschwinden und gleichzeitig in den Rückblicken die Geschichte dieser Freundschaft zwischen einem coolen Draufgänger und einem angepassten, vorsichtigen jungen Mann, der aber auch seine anarchischen Phasen in der Umbruchzeit in Berlin erlebt hat.

Die Geschichte einer Freundschaft, die die Entwicklung zweier Jungen aus unterschiedlichen Familien nachzeichnet. Gleichzeitig ein zeitgeschichtlicher Roman, der die Jugend in der DDR, die frühen Jahre des wiedervereinten Deutschlands bis hin zur Gegenwart beleuchtet. Und in dem immer wieder auf zeitgenössische politische oder andere Ereignisse hingewiesen wird - ein Stück deutsche Alltagsgeschichte. Nebenbei liest Stephanie unglaublich viele Romane - so ist es eigentlich auch ein Buch über Bücher ;)
Erzählt wird in einem gelassenen, fast heiteren Tonfall, fast eine Art Plauderton, der dazu führt, dass man den Roman nicht mehr aus der Hand legen will.