Rezension Rezension (3/5*) zu Wir sehen dich: Thriller von Stephanie Marland.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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I spy with my little eye...


I spy with my little eye...

Das Interesse an “True Crime”, also echten Kriminalfällen, boomt. Ich kann mich erinnern, dass schon in den 90ern die weißen Bücher der Reihe “True Crime – Der wahre Kriminalfall” in den Buchhandlungen standen – verschämt in der Ecke mit der Schundliteratur. Aber seit einigen Jahren springt das Genre zunehmend selbstbewusst über Mediengrenzen: Bücher, Zeitschriften, Serien, Podcasts… Und das von Anbietern, die keineswegs in dem Ruf stehen, Schund zu produzieren. “Stern Crime”. “Morddeutschland” im NDR. Auf Youtube haben Kanäle wie “True Crime Daily” über 2 Millionen Zuschauer.

Eigentlich naheliegend, dass eine Thriller-Autorin daraus eine fiktive Geschichte strickt:
Eine Gruppe von True-Crime-Fans macht sich daran, selber einen gerade agierenden Serienkiller zu schnappen, stellt sich dabei gar nicht so dumm an – aber am Schluss ist das alles doch nicht so einfach wie gedacht und sie kommen nicht nur der Polizei in die Quere…

Ich liebe diese Grundidee! Ich finde es sehr interessant, mal einen Einblick (wenn auch einen fiktiven) in das “True Crime”-Fandom zu bekommen. Was bewegt Menschen dazu, sich mit Serienkillern zu beschäftigen, als seien es Rockstars?

Die Handlung hat jedoch Lücken und den ein oder anderen Logikfehler.

Warum hat das Verhalten der Gruppe zum Beispiel keine drastischen rechtlichen Konsequenzen? Einbruch an einen Tatort, die Unterschlagung eines gefundenen Beweisstücks, das Verschweigen gesammelter Erkenntnisse… Eigentlich könnte man sie allesamt wegen Behinderung der Polizeiarbeit drankriegen, mindestens.

Auch die Auflösung hat mich nicht vollends überzeugt, denn das Motiv des Mörders wirkte auf mich sehr aufgesetzt und nur bedingt realistisch.

Dennoch ist die Geschichte sehr unterhaltsam. Sie liest sich flüssig runter, hat einige interessante Wendungen, ein gutes Tempo, die ein oder andere falsche Fährte… Und vor allem eine interessante weibliche Hauptfigur.

Clementine ist ein schwieriger Mensch und hält sich von anderen Menschen im Allgemeinen eher fern. Sie beschäftigt sich als Doktorandin mit der Psychologie zwischenmenschlicher Interaktionen im Internet und will vor allem ihre These beweisen, dass die Zukunft der Verbrechensaufklärung im Crowdsourcing liegt. Leider ist aber auch ihre Geschichte letztendlich für mich nicht ganz rund.

Ihr Verhalten und ihre Entscheidungen werden sehr stark von etwas Traumatischen bestimmt, das in ihrer Vergangenheit geschehen ist – aber dieser Hintergrund bleibt lückenhaft, obwohl er ein zentrales Element des Buches ist.

Die anderen Charaktere werden sehr unterschiedlich geschildert.

Der wichtigste Charakter neben Clementin ist DI Bell. Der hat gerade nicht nur den Serienmörder am Hals, sondern sein letzter Fall ist so katastrophal verlaufen, dass er nicht mehr weiß, wem von seinem Team er überhaupt noch trauen kann. Trotz dieses Hintergrunds blieb er für mich im Vergleich mit Clementine etwas blass.

Über die meisten Mitglieder der True-Crime-Gruppe erfährt man nicht allzu viel, was ich sehr schade fand. Warum interessieren sich diese Leute für echte Verbrechen? Was bewegt sie dazu, ein persönliches Risiko einzugehen, um einen Killer zu schnappen?

Da wurde das Potential der Geschichte in meinen Augen nicht ausgenutzt.

Der Schreibstil gefiel mir ganz gut; ich mochte besonders die Aufteilung in Szenen aus der Ich-Perspektive und Szenen aus der dritten Person, so dass man die Geschehnisse aus verschiedenen Blickwinkeln sieht.

FAZIT

Eine Gruppe von True-Crime-Fans zieht los, um den “Lover” zu schnappen – einen Serienkiller, der seine Opfer in Rosenblätter bettet, Kerzen um sie herum drapiert und romantische Musik am Tatort laufen lässt.

Zusammenfassend würde ich sagen: “Wir sehen dich” ist ein unterhaltsames Buch, aber mit deutlichen Schwächen. Man kann es sehr gut lesen – ich bereue nicht, damit ein paar Abende verbracht zu haben –, aber es ist meines Erachtens nichts, was mir lange im Gedächtnis bleiben wird.
 
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