Rezension Rezension (3/5*) zu Wilde Freude: Roman von Sorj Chalandon.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Jeanne Sorry


Als bei der Buchhändlerin Jeanne Krebs diagnostiziert wird, beschließt ihr Mann Matt sie zu verlassen, weil er ihr Leiden nicht ertragen kann. Bei der Chemotherapie lernt Jeanne Brigitte kennen und zieht zu ihr und deren Lebensgefährtin Assia und Freundin Mélody in eine Wohngemeinschaft. Jeanne, Brigitte und Mélody verbindet nicht nur die gemeinsame Krebsdiagnose. Alle Frauen, auch Assia, wurden auf die einer oder andere Weise vom Schicksal gefordert, haben Kinder, Männer, Familie verloren. Es entwickelt sich eine starke Solidarität zwischen den vieren. Als eine von ihnen dringend sehr viel Geld benötig, planen sie einen waghalsigen Coup, den Raubüberfall auf einen Luxusjuwelier.

Der französische Schriftsteller Sorj Chalandon ist mir letztes Jahr mit seinem eindrucksvollen Roman „Am Tag davor“ äußerst positiv aufgefallen. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen auf sein neues Buch „Wilde Freude“. Leider konnte der Autor diese Erwartungen nicht erfüllen.

Das Buch beginnt mit „einer großen Dummheit“. Von Anfang ist klar, dass die Handlung auf den besonderen Höhepunkt, den Überfall auf einen Juwelier im Herzen von Paris hinausläuft. Doch zunächst erzählt Sorj Chalandon von Jeanne, der Buchhändlerin. Jeanne erkrankt an Krebs, ihre Ehe steht schon lange auf der Kippe, seit ihr gemeinsamer Sohn Jules mit sieben Jahren gestorben ist.

„Wir wussten, wie vergänglich alles war. Dass es ein Davor gab, aber kein Danach mehr. Wir waren allein auf der Welt.“

Nun hat Matt „kein Herz“ für ihr Leiden und lässt Jeanne im Stich. Jeanne schließt zögerlich Freundschaft mit Brigitte, Assia und Mélody. Sie ist eine graue Maus, nicht nur in ihrem Aussehen in ihrem Kleidungsstil. Sie ist ängstlich, fühlt sich peinlich, lächerlich, verletzlich. Entschuldigt sich bei jedem zweiten Satz, was ihr den Namen „Jeanne Sorry“ bei ihren neuen Freundinnen einträgt. Sie ist so ganz anders als die forsche Brigitte, die zynische Assia, die unverschämte Mélody.

„Sorry! Sorry! Hast du nicht langsam die Schnauze voll davon, dich immer dafür zu entschuldigen, dass du existierst?“

Was als einfühlsame, emotionale und ehrliche Geschichte beginnt, wie die Empfindungen einer Frau geschildert werden, die gerade eine lebensverändernde Diagnose erhält, wie diese Frau mit den Veränderungen umgeht, mit dem Krebs, der eine Teil ihres Körpers, aber auch ihres Ichs geworden ist, ändert sich der Text im Laufe der Zeit. Die Schicksalsschläge der Protagonistinnen sind klischeehaft, alle erleiden Unrecht durch bösartige Männer. Die Vorbereitungen und die Durchführung des Überfalls waren lebensfern, überzogen, clownesk. Der Autor selbst weiß um die Schwächen des Plans, lässt Jeanne alle vernünftigen Argumente aufzählen, die in der Wirklichkeit das Vorhaben zum Scheitern verurteilen würden. Es scheint fast so, als ob der Krebs den Frauen Superkräfte verleihen würde, die sie diese „mission impossible“ durchstehen lassen.

„So wilde Freude nimmt ein wildes Ende.“ (William Shakespeare, Romeo und Julia)

Als „Gaunerkomödie“ hätte dieses Buch vielleicht Erfolg und würde wahrscheinlich auch funktionieren, wenn sich vier Frauen zusammentun, die ein ähnliches Schicksal haben, die sich z. B im Gefängnis oder Frauenhaus kennengelernt haben. Dass die Frauen aber der Krebs verbindet, macht die Sache scheel. Hier kommt dann Mitleid dazu, soll den Frauen alles durchgehen lassen. Das schmeckt mir nicht. Da kann auch eine Wendung zum Schluss nichts mehr retten. Sorry, Sorj.




 
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