Rezension (3/5*) zu Von hier betrachtet sieht das scheiße aus: Roman von Max Osswald

GAIA

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2021
2.228
10.399
49
Thüringen
Solides Debüt mit Luft nach oben

„Von einem Hochhaus stürzen, echt jetzt? Da war ich schon echt enttäuscht. Ich hätte, wenn schon, etwas Heroischeres oder Rockstarmäßigeres gewählt.“ Der beste Kumpel von Ben hat als seinen letzten (Aus-)Weg den vom Hochhaus gewählt. Ben fällt da etwas anderes ein, um seinem von Zynismus durchseuchtem Leben als Wirtschaftsprüfer ein Ende zu setzen: Er will sich nach einer Karenzzeit von 50 Tagen von einem Auftragskiller umbringen lassen. So weiß er wenigstens nicht, wann und wie genau es passiert. Und muss nicht selbst den „Mut zum ersten Schritt“ (quasi) aufbringen. Wir erleben im Verlauf des Romans also die Veränderung, die in einem Menschen einsetzt, wenn dessen Lebenszeit klar bestimmt ist. Wir begleiten Ben dabei, wie er immer mehr seinen zersetzenden Zynismus fallen lässt und anfängt zu leben, bevor er sterben muss.

Die Geschichte von Ben und seinen Abenteuern erzählt Max Osswald flott und knackig aus der Ich-Perspektive Bens herunter. Dabei ist die Sprache durchaus derb und provokant, wie der Titel „Von hier aus betrachtet sieht das scheiße aus“ schon vermuten lässt. Es ist durchaus Humor zu erkennen, wenngleich er meinen um 10-15 Lebensjahre verpasst hat. Manche der doch recht häufig genutzten Aphorismen wirkt zu gewollt und können dadurch nicht wirklich punkten. So z.B.: „Selbstmord ist der Cousinenfick unter den Todesarten. Nicht verboten, fühlt sich aber nicht richtig an.“ Tja, Recht hat er. Aber muss das unbedingt sein? Es gibt auch viele Lebensweisheiten im Buch, die für sich genommen wirklich richtig und wichtig sind, aber hier einfach zu gehäuft auftreten. Der Autor spricht außerdem sehr viele Themengebiete, mitunter im Nebensatz an, lässt seine Protagonist:innen Sachen sagen, die eher wie info dump wirken, als dass sie zur Handlung beitragen. Das wirkt dann nicht immer authentisch eingeflochten. Da kommt schon einiges an Gesellschaftskritik zusammen. So galant gelöst, wie zum Beispiel in Marc-Uwe Klings Büchern (der Vergleich ist sicherlich aufgrund des Genres und Stils angebracht) ist die Vermittlung von gesellschaftskritischen Ansichten jedoch leider nicht. Da ist noch Luft nach oben für den Debütanten. Man merkt dem Text an, dass er vorgetragen werden will. Vielleicht wie eine auf das Buchformat ausgedehnte Variante eines Poetry Slam Beitrags. Ich könnte mir vorstellen, dass das Buch als Hörbuch auch durchaus besser funktioniert als in der gedruckten Form.

Atmosphärisch trifft der Autor jedoch sicherlich den Ton einer sinnsuchenden, unter Erfolgsdruck stehenden Generation, oder zumindest Teile dieser Generation. Ich finde es ja schrecklich Büchern dieses Label zu verpassen, durch welches sie gleich für eine ganze Generation sprechen sollen. Man kann dem Wandel von Ben vom absoluten Zyniker hin zu einem Menschen mit durchaus hoffnungsvolleren Ansichten durchaus gut folgen. Leider ist der Plot als solcher doch recht vorhersehbar. Hier hätte ich mir mehr Überraschungen gewünscht.

Gefallen hat mir besonders, wie der Autor herausarbeitet, dass wir Menschen untereinander um einiges weniger Probleme hätten, wenn wir ohne Rücksicht auf Verluste mal die Normen sprengen würden und offen und ehrlich miteinander reden. Denn dies gelingt Ben zunehmend. Sein Handeln wird mutiger mit Blick darauf, dass er eigentlich nichts mehr zu verlieren hat. So beginnt er erst richtig zu leben und auch tiefere Kontakte mit seinen Mitmenschen einzugehen.

Insgesamt hat mir das Buch durchaus gut gefallen. Ich habe dieses solide Erstlingswerk gern gelesen, sehe aber auch noch Ausbaupotential. Ich könnte mir vorstellen, das gerade jüngere Menschen um die 20 sich in diesem Buch gut wiederfinden und eine Lektüre für diese Personengruppe auch am ertragreichsten ist. Alle anderen bekommen eben relativ plakativ die traurigen aber wahren Erkenntnisse zu den Problemen unserer Gesellschaft und den darin lebenden Menschen aufgezeigt und können noch einmal für sich auffrischen, warum es sich lohnt, doch weiterzuleben.