Rezension (3/5*) zu Unter der still stehenden Sonne von Dora Dueck

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Die Mennoniten in Paraguay...

Einer der wesentlichen Elemente dieses Romans ist die Perspektive einer Frau auf das Leben der Pioniere in einer von Männern dominierten Gemeinschaft. Zu empfehlen nicht nur für seine Schilderung des Lebens in einer bahnbrechenden Familie, sondern auch, weil es das Wesen der paraguayischen mennonitischen Erfahrungen erfasst. Neben der interessanten Erzählung enthält das Buch auch eine ausgezeichnete Schilderung des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, psychologischen, religiösen Hintergrundes eines bedeutenden Kapitels in der Geschichte der Mennoniten. (Klappentext)

Manchmal kommt man zum Buche wie die Jungfrau zum Kind. Auf der Suche nach passenden Buchtiteln für eine Challenge stieß ich auch auf diesen definitiv abseits jeden Mainstreams publizierten Roman. Tatsächlich musste ich erst einmal nachforschen, wer oder was Mennoniten eigentlich sind. Wikipedia weiß hierzu:

"Mennoniten sind eine evangelische Freikirche, die auf die Täuferbewegungen der Reformationszeit zurückgeht. Verfolgungen und rechtliche Beschränkungen in Europa führten vor allem zwischen etwa 1715 und 1815 zur Auswanderung von Mennoniten und anderen Täufern nach Osteuropa und Nordamerika. (...) Die an der Weichsel lebenden Mennoniten kamen nach der Ersten Teilung Polens 1772 unter preußische Herrschaft, was vor allem wegen des preußischen Militärdiensts zum Problem wurde. Viele wanderten so ab 1789 nach Neurussland und später von dort auch in andere Teile Russlands aus, wo sie zu einer ethno-religiösen Gruppe, den Russlandmennoniten, wurden. (...) Von den Russlandmennoniten leben heute nur noch wenige in Russland (...) Bereits in den 1920er und 1930er Jahren und wieder nach 1945 verließen mehrere tausend russlanddeutsche Mennoniten Russland und gingen meistenteils nach Kanada und Lateinamerika. Besonders viele Menschenleben forderten der Große Terror unter Stalin in den 1930er Jahren. Viele russlanddeutsche Mennoniten wurden verhaftet, misshandelt, ermordet oder in Arbeitslager deportiert, wo viele grausam umkamen."

Diesen recht umfangreichen Absatz setze ich hier bewusst voraus, weil der Roman genau da einsetzt und diese Gegebenheiten offenbar als bekannt voraussetzt. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive der zu Beginn 16jährigen Anna, die im Oktober 1929 mit ihren Eltern und ihrer Schwester in einer monatelangen Reise aus Russland über Deutschland nach Paraguay auswandert. Ihr Ziel ist eine provisorische Siedlung im westlichen Chaco, einem paraguayischen Landstrich, gekennzeichnet durch Trockenwälder und Dornbuschsavannen sowie ein tropsiches bis subtropisches Klima. Temperaturen über 40 Grad im feucht-heißen Sommer und häufige Dürreperioden im mäßig warmen Winter lassen die Versuche, in dem Landstrich die überlebensnotwendige Landwirtschaft zu betreiben, zu einer Herausforderung werden. Harte Arbeit, lange Tage und wenig Zeit für Müßiggang - so sieht das Leben fortan aus.

Aber die Mennoniten leben dort autark, ohne jede Berührung mit den Indianern (steht so im Buch) oder den Paraguayern. Sie haben eigene Schulen, in denen Deutsch als Unterrichtssprache gesprochen wird, das Recht auf Religionsfreiheit und eine Befreiung vom Militärdienst. Und damit eine Möglichkeit, an ihren Traditionen und Werten festzuhalten. Anna beschreibt den mühsamen Neubeginn, die ersten Erfolge, die wiederkehrenden Rückschläge. Wie nebenher erfährt man beim Lesen von der Bedeutung des Glaubens, dem Gottesgehorsam und dem blinden Vertrauen in Gott, was auch Schicksalsschläge erträglich macht.

Nebenher erzählt Anna auch ihre eigene Familiengeschichte, wobei sie auf die Vergangenheit in Russland nur kurz und skizzenhaft eingeht. Für sie selbst ist die Umsiedlung nach Paraguay ein Neubeginn, dem sie gespannt entgegensieht. Ihre doch schon alten Eltern (der Vater ist zu Beginn 63 Jahre alt, die Mutter 60) sehen in der Umsiedlung eine Möglichkeit, endlich in Ruhe ihren Vorstellungen entsprechend leben zu können, aber eben auch eine Entwurzelung.

Als Anna kurz nach der Ankunft ihren späteren Mann Jakob kennenlernt, geht sie geradlinig und energisch ihren Weg. Sie lässt sich nicht entmutigen, komme was da wolle, und gründet mit ihrem Mann eine Familie. Anna hält Haus und Hof in Ordnung und gibt ihrem Mann den Rückhalt, den er zuweilen benötigt. So z.B. zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, als Jakob an den pazifistischen Wurzeln der Mennoniten festhält und damit in Konflikt gerät mit anderen Siedlern, die Hitlerdeutschland unterstützen wollen - u.a. im Kampf gegen das verhasste Russland. Etliche Söhne der Siedler sind bereits als Freiwillige unterwegs nach Deutschland, um dort den Militärdienst anzutreten.

Der Roman begleitet Anna bis ins hohe Alter durch ihr hartes Leben, das sie jedoch bereitwillig annimmt - aufkommende Zweifel werden mit dem festen Gottesglauben und der Liebe zu Jakob schnell weggewischt. Die Rollenverteilung der Geschlechter ist klar geregelt - sie muss mir nicht gefallen, ist aber allein aufgrund der Ordnung der Freikirche und der damaligen Zeit auch wohl nicht anders zu erwarten.

Bei allem interessanten Wissen, das hier wie nebenher vermittelt wird, blieben mir die Charaktere und selbst Anna doch größtenteils fremd. Ich konnte oftmals weder das Denken noch das Fühlen nachvollziehen, kann aber die große Stärke Annas respektieren. Insgesamt empfand ich das Lesen in Anlehnung an die Lebensverhältnisse dort im paraguayischen Chaco doch als eher mühsam. Dazu beigetragen haben sicher auch die zahlreichen Fehler in Rechtschreibung und Zeichensetzung, die vom Lektorat wohl übersehen wurden.

Dennoch bereue ich das Lesen des Romans nicht, bietet er doch interessante Einblicke in eine Lebensweise, die ich bisher nicht kannte, und ein geografisches Gebiet, das mir bislang ebenfalls unbekannt war. Wieder was gelernt...



© Parden

 
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