Rezension (3/5*) zu Unsere verschwundenen Herzen: Roman von Celeste Ng

petraellen

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11. Oktober 2020
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Buchinformationen und Rezensionen zu Unsre verschwundenen Herzen von Celeste Ng
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Ein Märchen?

Autorin
Celeste Ng

Inhalt
Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in Harvard, Amerika. Sein Vater ist ein herausragender Wissenschaftler. Doch nachdem seine Frau untergetaucht ist, verrichtet er niedrige Dienste in der Bibliothek. Er bemüht sich in dem autokratischen Regime nicht aufzufallen und nicht mehr mit den Gedichten seiner Frau, einer Schriftstellerin, in Verbindung gebracht zu werden. Insbesondere seinem Sohn, vermittelt er eindringlich, seine Mutter zu vergessen. Seine Mutter Margaret Miu ist asiatischer Abstammung. Seit einer Wirtschaftskrise in Amerika gilt China als Staatsfeind Nummer 1. Ein Gesetz „PACT“ (Preserving American Culture und Tradition) soll für die Erhaltung amerikanischer Kultur und Traditionen sorgen, weshalb alles Asiatische unterdrückt und bekämpft wird.

„Seine Mutter war Dichterin gewesen.
Eine berühmte, hatte Sadie hinzugefügt, und er hatte nur die Schultern gezuckt. Gab es so was überhaupt?
Soll das sein Scherz sein?, sagte Sadie. Alle kennen Margaret Miu.
 Sie überlegte.
 Naja, sagte sie, jedenfalls kennt jeder ihr Gedicht.“ (S. 31)

Die Gedichte seiner Mutter sind zur Parole der Widerstandsbewegung geworden. Nach langer Zeit bekommt Bird einen verschlüsselten Brief von seiner Mutter. Die Verschlüsselung kann er mithilfe einer Bibliothekarin, die ebenfalls zum Widerstand gehört, lösen. Er macht sich auf den Weg nach New York, wo seine Mutter im Untergrund gegen das Regime arbeitet. Er entdeckt die Wahrheit über sich und seine Familiengeschichte und lernt dabei viel über sich selbst.

Sprache und Stil

Der Roman lässt sich zweifellos in das Genre einer Dystopie einordnen. Amerika im Jetzt oder in einer nicht allzu fernen Zukunft?
Der Beginn des Romans löst zunächst ein merkwürdiges Gefühl aus, so als befindet man sich in einem Vakuum. Leere. Und doch sind dort Menschen. Noah genannt Bird. Sadie leidet unter einem ähnlichen Schicksal wie Noah. Mehr und mehr breitet sich der Raum aus. Über alles steht PACT, das Gesetz! PACT wacht darüber, das der Feind sich nicht ausbreiten kann. PACT ist eine personifizierte Einrichtung. PACT ist überall. PACT sorgt für Ruhe und Sicherheit. Birds Mutter musste fliehen, weil sie Person of Asian Origin ist. Sadie ist auf einmal verschwunden. Bird und Sadie haben Eltern mit asiatischer Abstammung. Birds Mutter ist asiatischer Abstammung. Sie verläßt ihre Familie, was Bird zunächst nicht versteht.
PACT füllt das Vakuum. So wie Menschen verschwinden, verschwinden Bücher. Bird sucht ein Buch und findet es mithilfe einer Bibliothekarin. Bücher werden nicht verbrannt, „sie werden zerdrückt und zu Toilettenpapier recycelt“. Die Bibliothekarin kennt das Gesetz, doch befolgt sie es wirklich? Ein leises Fluchen von ihr über PACT vernimmt Bird und sie nennt seine Namen. Woher kennt sie seinen Namen? Offensichtlich existiert ein Widerstand tief im Untergrund. Was hat der Widerstand mit Büchern zu tun?

Der Roman besteht aus zwei Erzählsträngen.

Das Gesetz PACT beherrscht das Land. Die autoritäre Regierung sieht die „gelbe Gefahr“ in China und macht sie verantwortlich für die schwere „Krise“.

„In den Nachrichten wird China als unsere größte langfristige Bedrohung bezeichnet […] (S. 80)

Ein gegen alles Asiatische gerichteter Rassismus macht sich breit und stellt mit einer Politik das amerikanische Wohl über alles. Das maßgebliche Gesetz stellt alles „antiamerikanische“ und Asiatische an den Pranger und fördert gleichzeitig das Denunziantentum.

Der Nebenstrang des Romans handelt von Kindern aus vermeintlich prekären Verhältnissen, die gegen den Willen ihrer Eltern kurzerhand zu Pflegeeltern gegeben werden. Der Titel des Romans „Unsere verschwundenen Herzen“ nimmt darauf Bezug. Celeste Ng beschreibt die daraus resultierenden Angst und Verzweiflung der Menschen. Birds Mutter hat sich abgesetzt, um ihre Familie zu schützen. Ihr Gedicht „missing hearts“ „verschwunden Herzen“ wird zum Slogan der Systemgegner.

Zeilen aus einem ihrer Gedichte, die „missing hearts“, „verschwundene Herzen“ beklagen, werden zur Erkennungslosung der Systemgegner. Literatur steht im Mittelpunkt, von ihr geht die Kraft aus, eine Regierung unter Druck zu setzen. Der Widerstand gegen Politik und Kinderverschleppung formiert zwischen den Regalen der Bibliotheken.

Es mutet wie im Märchen an, hier nimmt die Autorin auch Bezug dazu, als ob Literatur, die gegen Goliath aufbegehren kann.

Celeste Ng bringt Beispiele, die das verdeutlichen. Als Bird und sein Vater eine Pizza bestellen, werden sie anstandslos bedient. Während der Wartezeit kommt ein asiatische Alter Mann in die Pizzeria. Ihm wird sein Wunsch, eine Pizza zu kaufen, verwehrt. „Der Pizzaverkäufer schaut nicht einmal auf. Wir haben geschlossen, sagt er.“ (S. 84) Eine asiatische Frau wird auf der Straße zusammengeschlagen, ohne dass jemand hilft. Es schauen alle weg. PACT ist überall. Das versucht sein Vater Bird klar zu machen. Er soll nach Möglichkeit nicht auffallen. „Achte auf deinen Nachbarn“ steht auf einem Plakat und in Großbuchstaben am Rand. PACT.

Celeste Ng beschreibt diese Details außerordentlich eindringlich und realitätsnah. Doch je weiter die Geschichte fortschreitet, umso mehr gerät der Stil der Autorin auf Ebene eines Jugendbuches, wie zum Beispiel „Harry Potter“. Das ist sicherlich legitim, aber dadurch werden manche Passagen unglaubwürdig. Bird geht alleine nach New York, um seine Mutter zu finden. Bird ist zwölf und fällt nicht auf, wenn er alleine durch die Straßen irrt. Er findet die Herzogin, die weiß, wo seine Mutter sich aufhält.

„Er stellt sich die bösen Königinnen aus den Märchen vor, die Bosheit mit Anmut tarnen.“ (S. 167)

Er fährt mit ihr durch ein Labyrinth und trifft auf seine Mutter. Was will Celeste Ng mit diesem Stil erreichen? Ein ernsthaftes Thema als Märchen verpackt?

Die Geschichte wirkt verschwommen, schablonenhaft und verliert Authentizität


Fazit
Die Geschichte befindet sich nahe der Realität, scheitert jedoch an der Umsetzung. Die Kitschgrenze wird gewaltig überschritten.
Die hohen Erwartungen an den Roman haben sich nicht erfüllt. Celeste Ng kann anders schreiben.
„Unsere verschwundenen Herzen“ ist eine Enttäuschung.



 
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