Rezension (3/5*) zu Stella Maris von Cormac McCarthy

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Buchinformationen und Rezensionen zu Stella Maris von Cormac McCarthy
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Zu viel Theorie, zu wenig Mensch

Mit „Stella Maris“ legt Cormac McCarthy einen anspruchsvollen, formal ungewöhnlichem Roman vor, der allerdings in letzter Konsequenz nicht völlig überzeugen kann. Nachdem die junge Alicia sich selbst in eine Nervenheilanstalt eingeliefert hat, führt sie Gespräche über Mathematik, Musik, Philosophie, das Universum, Nuklearwaffen, ihre Kindheit, ihren Bruder, ihre Liebe und ihre Wurzeln mit dem Psychiater Dr. Cohen.

Statt der gängigen Romanform zu folgen, lehnt sich MCarthy an die Form des Lesedramas an – ohne dieser jedoch wirklich gerecht zu werden. Stattdessen besteht sein Text aus ungekennzeichneten Dialogen, die jeweiligen Redeteile müssen durch den Leser Alicia oder dem Arzt zugeordnet werden, was gerade zu Beginn nicht immer leichtfällt und viel Konzentration erfordert. Im Verlauf des Textes gelingt dies jedoch zunehmend besser, vor allem weil man sich daran gewöhnt, dass der Therapeut recht wenig zu sagen hat und seine Redeanteile im Vergleich zu Alicias deutlich kürzer ausfallen. Grundsätzlich finde ich diese Form des Dialogs spannend, frage mich aber, warum McCarthy sich nicht gleich an ein ausgewachsenes Drama herangewagt hat, wenn ihm die Form doch so am Herzen zu liegen scheint. Zwar spielt der Roman so mit Lesererwartungen an die Gattung, aber das Innovative nutzt sich ab und wirkt über die gesamte Strecke des Buches irgendwann doch ermüdend. Darüber hinaus entsteht der Eindruck, dass der Text hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt bzw. grundlegenden Fragen durch die Dialogform ausweicht. Die Charakterisierung der beiden Figuren bleibt so z.B. trotz der unmittelbaren Innensicht distanziert und ist nicht sonderlich aufschlussreich – lediglich zum Ende hin offenbart Alicia Emotionen, die den Menschen jenseits der Hochbegabung erkennen lassen. Von einer authentischen Gesprächsabbildung kann kaum die Rede sein – zu anspruchsvoll, zu theoretisch, zu hochtrabend kommt die Konversation daher und mitunter tatsächlich auch etwas zu ziellos.

Dabei ist der Roman inhaltlich sicherlich hochintelligent und enthält zahlreiche, für die meisten Leser kaum zu entschlüsselnde, Passagen. Besonders die immer wieder umfangreichen Ausflüge in den Bereich der Mathematik stellen für die Konzentration einen Stolperstein dar. Meine Gedanken wanderten dort stets ab – sicherlich weil es mir einfach zu abstrakt wurde, aber auch weil es mich einfach nicht zu interessieren vermochte: weder die Art der Präsentation noch der Inhalt. So mag es bestimmt sein, dass mir einige Andeutungen und Anspielungen, Bezüge und Verknüpfungen entgangen sind, aber wäre das Thema nicht so ausufernd trocken dargestellt worden, wäre mir dies auch besser gelungen.

Jenseits der Mathematik (und auch der Musiktheorie) liefert das Gespräch zwischen Klientin und Theraupeut aber einige hochinteressante und äußerst kluge Denkanstöße, die zu Diskussion und Grübelei anregen und spannende Fragen aufwerfen. Diesen Aspekt des Romans habe ich sehr genossen, er hat mich mit den kleineren Durststrecken zwischendurch ebenso versöhnt wie mit einigen steilen und unzutreffenden Behauptungen der Figur Alicia, die sich zwischendurch mit der Aura der Universalgelehrten schmückt.

Am stärksten war der Roman für mich tatsächlich in den zarten, menschlichen Momenten gerade zum Ende hin – wenn Alicias Figur sich als verletzlich und emotional unter all dem Wissen und der Überheblichkeit enthüllt, ist auch der Text bewegend.

Insgesamt eine eher anstrengende Lektüre für Mathematikbegeisterte, die auch gern mal philosophieren.