Rezension (3/5*) zu Shylock: Roman von Howard Jacobson.

MRO1975

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11. August 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Shylock: Roman von Howard Jacobson
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Innenansichten des Shylock aus dem "Kaufmann von Venedig"

Bei dem Roman handelt es sich um eine Neuerzählung des Shakespeare-Stücks "Der Kaufmann von Venedig". Um es vorwegzunehmen: Meiner Meinung nach macht es einen beträchtlichen Teil des Reizes der Lektüre aus, die Neuerzählung mit dem Original zu vergleichen. Ich empfehle daher, vor dem Roman zumindest eine gute Zusammenfassung des Stücks zu lesen.

Zum Roman: Die Hauptfigur Simon Strulovitch besucht das Grab seiner Mutter. Auf dem Friedhof trifft er auf Shylock, der am Grab seiner Frau Leah mit ihr Zwiegespräche führt. Die Männer kommen ins Gespräch und Strulovitch läd Shylock zu sich nach Hause ein. Die Gespräche der beiden drehen sich darum, was es bedeutet, ein Jude zu sein, welche Gründe Antisemitismus hat und wie er sich ausdrückt. Strulovitch, der Schwierigkeiten mit seiner Identifikation als Jude hat, vertritt hierbei eher moderne Ansichten, während Shylock konservativ argumentiert. Im Laufe der Gespräche wird klar, dass es sich bei Shylock um den Shylock der literarischen Vorlage handelt, der sein von Shakespeare ersonnenes Schicksal bereits durchlebt hat. In den Gesprächen mit Strulovitch legt er seine Sicht des Dramas und die Beweggründe für sein Handeln dar.

Strulovitch hat eine Tochter namens Beatrice. Diese ist 17, offenbar sehr hübsch und sexuell aktiv. Ihr Vater kommt damit nicht zurecht. Bei dem Versuch, seine Tochter vor der Welt und den Männern zu beschützen, schießt er allerdings mehrfach über das Ziel hinaus. Der Konflikt mündet schließlich darin, dass Beatrice heimlich ihr Zuhause verlässt und mit ihrem aktuellen Freund Gratan flieht.

Gratan ist ein bekannter Fußballspieler und Teil einer Clique der High Society. Die Clique wird dominiert von Plurabelle und D'Anton, die Gratan und Beatrice auch zusammengebracht haben. Als Strulovitch erfährt, dass Beatrice mit Gratan geflohen ist, fordert er, dass sich Gratan beschneiden lässt, damit er zumindest in biologischer Hinsicht einem Juden gleich wird. Andernfalls droht er, öffentlich zu machen, dass Beatrice erst 16 Jahre alt war, als sie das erste Mal mit Gratan geschlafen hat. Plurabelle und D'Anton wollen Gratan helfen und haben zudem Sorge, selbst Ärger wegen ihrer Kuppelei zu bekommen. Letztlich entschließt sich D'Anton dafür einzustehen, dass Gratan sich beschneiden lässt. Andernfalls bietet er sich selbst an. Es kommt zum Showdown.

Der Roman lässt die Grundidee des Kaufmanns wiedererkennen. Ganz anders als im Original nehmen im Roman allerdings die Gespräche zwischen Strulovitch und Shylock weiten Raum ein. Für insoweit interessierte Leser ist dies eine Bereicherung des Romans. Jacobson hat wahrscheinlich viel Energie und Arbeit auf diesen Aspekt seines Romans verwandt. Offenbar war es ihm eine Herzensangelegenheit, dem literarischen Shylock eine Stimme zu verleihen und über wichtige Punkte des Judentums dialektisch philosophieren zu lassen.

Leider fällt die Nacherzählung der übrigen Rahmenhandlung des Originals qualitativ deutlich hinter diesen Hauptteil zurück. Plurabelle, D'Anton und Gratan bleiben als Personen blass. Ihre soziale Herkunft und Prägung wird von Jacobson derart überzogen, dass es fast grotesk wirkt. Dadurch wurden die Personen für mich nicht glaubwürdig. Auch ihr Antrieb und ihre Beweggründe wirkten oft aufgesetzt.

Wer eine spritzige, innovative Neuerzählung des Shakespeare-Dramas erwartet, wird enttäuscht sein. Lesenswert sind dagegen die philosophischen Betrachtungen zum Judentum und die Sicht Shylocks auf seine Rolle im Kaufmann von Venedig. Die Lektüre dieser Abschnitte ist allerdings anspruchsvoll und der Roman daher nicht leicht zu lesen.