Rezension Rezension (3/5*) zu Schnee in Amsterdam: Roman von Bernard MacLaverty.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Buchinformationen und Rezensionen zu Schnee in Amsterdam: Roman von Bernard MacLaverty
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Szenen einer Ehe...

Mit einem verlängerten Wochenende in Amsterdam möchten Stella und Gerry ihren Ruhestandsalltag in Glasgow unterbrechen. Die kleine Reise soll die beiden aufmuntern, sie wollen die Stadt erkunden und etwas für ihre Ehe tun. Sie lieben sich noch und ertragen gegenseitig ihre kleinen Fehler – aber in den vier Tagen treten tiefe Risse in ihrer Beziehung zutage. Und es wird klar, dass Stella einen ganz eigenen Plan verfolgt. Dieser Plan hängt mit einem der bezauberndsten Orte in Amsterdam zusammen, dem Beginenhof, und mit einem Gelübde, das Stella einst getan hat. Gerry dagegen, ehemaliger Architekt, hat weitgehend abgeschlossen mit seinem Leben, in dem der Alkohol eine zu große Rolle spielt. Während ihrer Reise drängt allmählich ein Ereignis aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit in Belfast, Nordirland, immer stärker an die Oberfläche, etwas, das ihr ganzes Leben geprägt hat. Am Ende zeigt sich, wie tief der Graben zwischen ihnen wirklich ist.

Ein dichter, bewegender und aufwühlender Roman voller Lebensklugheit, Komik und Tragik.

Der Klappentext verrät im Grunde genau, was der Inhalt des Romans ist: ein lebenserfahrenes Ehepaar, im Laufe der Jahre perfekt aufeinander eingespielt, doch im Alltagstrott oftmals eher nebeneinanderher lebend, tritt im Winter eine gemeinsame Reise nach Amsterdam an. Ein gemeinsames Hotelzimmer, die kleinen Macken und Gewohnheiten des anderen respektierend, scheint diese Reise anfangs die gewünschte Auszeit vom Alltag zu bieten, doch wird rasch deutlich, dass Stella und Gerry zwar durchaus noch Zuneigung zueinander empfinden, hier jedoch vornehmlich jeder für sich seine ureigenen Interessen verfolgt.

Raumfordernd bricht sich hier Gerrys Alkoholismus zunehmend Bahn, hervorragend und glaubwürdig geschildert in allen Facetten - der Verleugnung der eigenen Sucht, dem Sich-Besser-Fühlen bereits nach dem ersten Schluck, der wachsenden Maßlosigkeit, der heimlichen Beschaffungsmentalität, dem Versteckspiel, den Verwirrungszuständen... Stella scheint dies nicht fremd zu sein, doch wie schon zu Hause geht sie weitestgehend darüber hinweg. Verblüffend genug, doch scheint ihr Schweigen darüber weniger ein Ausdruck tiefen Respekts zu sein als vielmehr ein Zeichen der Resigantion.

Stella selbst macht sich heimlich auf an einen Ort in Amsterdam, über den sie bei ihrem ersten Besuch in der Stadt vor etlichen Jahren rein zufällig gestolpert war: den Beginenhof. Ein Ort, an dem Frauen zusammenleben in der Nachfolgschaft derer, die nicht das Leben einer Nonne führten, nicht in Klöstern sondern in Konventen lebten, die kein Gelübde ablegten, aber ein religiös inspiriertes, eigenverantwortliches Leben führten und dabei sozial wichtige Aufgaben übernahmen. Stella hat für sich einen alternativen Lebensentwurf entwickelt, will die letzten Lebensjahre nicht nutzlos an der Seite eines ihr immer fremder werdenden Mannes verbringen, sondern mit ihrer verbleibenden Kraft noch Gutes bewirken. Vielleicht ist der Beginenhof die Alternative, nach der sie schon lange sucht?


"Ich tu mich nur um." --- "Und wenn du findest, wonach du suchst?" --- "Es wird gut sein." Sie zuckte mit den Achseln. "Aber ich weiß, dass es zu anderen - schwierigeren - Fragen führen wird." --- Und wo stehe ich dann? Wo wir?" --- "An verschiedenen Orten." (S. 110)


Szenen einer Ehe präsentiert MacLaverty hier, seziert verbliebene Gemeinsamkeiten und die Abgründe, die die Jahre und die Probleme wie der steigende Alkoholkonsum Gerrys zwischen die Eheleute gemeißelt hat. Dabei gibt er auch immer wieder in Rückblenden Einblicke in die Vergangenheit des Paares, zu der auch einschneidende Erlebnisse in Nordirland gehörten. Der Sprachstil wirkt einfach, direkt und schnörkellos, wobei er eine gewisse Distanz zu den Charakteren bewahrt. Trotzdem lotet MacLaverty kunstvoll die Einsamkeiten der Figuren aus, was in manchen Szenen durchaus berührend ist.

Obwohl beide Partner noch Zuneigung füreinander empfinden, denselben Humor teilen und wohlwollend miteinander umgehen, dominiert hier lange die Sprachlosigkeit. Wichtige Themen werden, wenn überhaupt, dann eher flapsig angerissen und rasch wieder abgetan, Entscheidungen getroffen ohne den anderen mit einzubeziehen. Alles vielleicht nachvollziehbar - für mich als Leser jedoch stellenweise schwer auszuhalten. Die Sprachlosigkeit, die Einsamkeit, der Alkoholkonsum: schwere Kost, trotz aller sprachlicher Schnörkellosigkeit.


"Fühlst du dich nahe?" --- "Dem Ende?" --- Er lachte. "Nein, fühlst du dich mir nahe?" --- "Wir sitzen nebeneinander." --- Gerry lächelte. "Mach schon. Antworte", sagte er. --- "Sagen wir mal so", antwortete Stella. "Wenn mich jemand fragt, wie lange wir schon verheiratet sind, sage ich nur: 'Es zieht sich in die Länge.'" (S. 161)


Keiner der Charaktere kam mir im Laufe des Lesens wirklich nahe, und doch greift der Autor hier ein Thema auf, das viele langjährige Paare angeht und dementsprechend möglicherweise auch zum Nachdenken anregt, zur Bestandsaufnahme der eigenen Beziehung und der Offenheit miteinander beiträgt. Der letzte Abschnitt belegt, wie treffend sowohl der englische Originaltitel ('Midwinter Break') als auch der deutsche Titel gewählt wurden, und das Ende fand ich sehr passend gestaltet.

Eine ruhige, unaufgeregte, aber intensive Erzählung mit zeitweise etwas anstrengenden Charakteren. Für mich mit 3.5 Sternen kein Jahreshighlight, aber doch ein Roman, den ich gerne gelesen habe.


© Parden

 
S

Sylli

Gast
Vielen Dank für die schöne Vorstellung.
Ich wollte es schon ausleihen, lass es aufgrund Deiner Rezension aber bleiben. Ist dann alles doch so, wie ich es nicht haben muss.
 
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