Rezension Rezension (3/5*) zu Schilf im Wind: Roman. von Grazia Deledda

parden

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13. April 2014
5.869
7.759
49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
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Eindrucksvoll aber düster...

Auf einem halb verfallenen Landgut inmitten der kargen Landschaft Sardiniens, zwischen Granatapfelbäumen und wilden Kaktusfeigen, verbüßt der Knecht Efix eine geheime Schuld im Dienst der Schwestern Pintor. Doch schon bald werden die Frauen in ihrer trostlosen Abgeschiedenheit, gewissermaßen auf einer Insel innerhalb der Insel, von der Vergangenheit eingeholt. Von dieser archaischen, unwirklichen Welt, mit Kobolden, die ihre Schätze verstecken, und Feen, die auf ihren Webstühlen Goldstoffe herstellen, scheint der Mensch nur widerwillig geduldet zu sein.

Fast zeitlos, dahinströmend im Rhythmus der Naturgezeiten, wirkt das Geschehen in diesem fast märchenhaft anmutenden Werk Grazia Deleddas (1871–1936). Dem Schilf im Wind vergleichbar sind die Menschen, die uns die Nobelpreisträgerin in ihrem Sardinien-Roman vor Augen führt: geduldig, vom Schicksal erfasst, niedergedrückt und von der Liebe schließlich wieder emporgerichtet.

Naturschilderungen in allen Farbnuancen bilden das Grundgerüst dieses Romans: sehr bildhaft und stellenweise überaus poetisch - aber die teilweise sehr langen Sätze mit den vielen Details und zahllosen Beschreibungen empfand ich durchaus auch als anstrengend. Andererseits tragen gerade diese Schilderungen zur wohl gewollt elegischen Stimmung bei, so dass sie wiederum passend erscheinen.

Die Stimmung der Erzählung ist leise, melancholisch, und oftmals fast traumhaft (im Sinne von: wie in einem Traum). Ich gewann zeitweise den Eindruck, in etwas Vergangenem festgehalten zu werden, gemeinsam mit den Figuren. Ein karges, armes Leben führen da die meisten, und abgesehen von den täglichen Ritualen gibt es kaum Erwähnenswertes. Kirchenfeste stellen den Höhepunkt im Leben der Dorfbewohner dar, da lassen es sich alle gut gehen und feiern, dann jedoch zieht nur allzu bald wieder der von Armut geprägte, malariaverseuchte, mühsalgeplagte, von Andachten unterbrochene und von Aberglauben bestimmte Alltag ein.

Ganz im Stile eines klassischen Dramas, kommen die Charaktere dem Leser nicht wirklich nahe. Efix als Knecht der Schwestern Pinto steht im Mittelpunkt des Geschehens. Er ist es, der alles zu richten versucht, sich den Schwestern verpflichtet fühlt, obschon sie ihm schon seit Monaten keinen Lohn mehr zahlen können, und der von einer Schuld zerfressen scheint, die ihm immer mehr von seiner Lebensenergie raubt.

Schuld und Sühne sind hier ebenso Thema wie Kirche und Aberglaube, die große Armut allerorten gegenüber der übervollen Schönheit der Natur sowie das traditionelle Dorfleben und der Geisterglaube - und dazu durchweg tragische Figuren. Einige Längen - gerade im letzten Drittel des Romans - sowie eine Anhäufung von Schilderungen von Kirchenfesten bewirkten, dass ich das Lesen zeitweise als etwas zäh empfand.

Zusätzlich hemmten auch die zahlreichen Fußnoten den Lesefluss, die zwar im Text gekennzeichnet sind, dann aber viel weiter hinten im Buch aufgeführt werden: 103 Anmerkungen auf 26 kleinebedruckten Seiten. Ich fand es schwierig zu entscheiden, welche davon ich getrost übergehen konnte und welche unbedingt nachgelesen werden sollten - und so habe ich letztlich fast alle Fußnoten verfolgt, was den Lesefluss jedoch stets empfindlich unterbrach.

Ich bin tatsächlich etwas zwiegespalten, was diesen Roman anbelangt. Ich habe ihn nicht ungern gelesen - und tatsächlich ist es doch schön, dass solche alten "Schätze" - immerhin von einer Nobelpreisträgerin für Literatur - nicht verloren gehen und auch der heutigen Leserschaft zugänglich gemacht werden. Aber man muss sich wirklich auf die Erzählung einlassen, was mir nicht durchgehend leicht fiel.

Immerhin ist diese Neuauflage im Kleinformat mit dem bildschönen Cover ein wahres optisches Kleinod. Und ich freue mich letztlich doch, dass ich die mir bis dahin unbekannte Autorin, die als eine der bislang wenigen Frauen den Literaturnobelpreis gewann, mit diesem Roman kennenlernen durfte...



© Parden

 
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