Rezension (3/5*) zu My Sister, the Serial Killer von Oyinkan Braithwaite

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Ayoola und Korede sind Schwestern wie Tag und Nacht

Ayoola und Korede sind Schwestern wie Tag und Nacht

Ayoola ist wunderschön und charmant, das Lieblingskind ihrer Eltern und der Schwarm aller Männer. Korede dagegen ist unscheinbar und von harschem Gemüt, arbeitet als Krankenschwester – und muss hinter ihrer Schwester herräumen, wenn die mal wieder einen ihrer Liebhaber umgebracht hat. Als wäre das noch nicht schlimm genug, verliebt sich auch noch der junge Arzt Tade, nach dem Korede sich heimlich verzehrt, in die männermordende Ayoola …

Ich habe das Buch auf Englisch gelesen und das englische Hörbuch gehört, es gibt aber eine deutsche Ausgabe mit dem Titel »Meine Schwester, die Serienmörderin«, übersetzt von Yasemin Dinçer.

Ich kann jedoch jedem, der flüssig Englisch hören kann, das englische Hörbuch sehr empfehlen. Es wird von der britisch-nigerianischen Schauspielerin Weruche Opia gesprochen, und sie gibt verschiedenen Charakteren verschiedene Klangfarben, was ich sehr stimmig finde. Immerhin werden in Nigeria außer Englisch auch noch Edo, Efik, Adamaua-Fulfulde, Hausa, Idoma, Igbo, Zentral-Kanuri, Yoruba und andere Sprachen gesprochen, daher ergeben sich sicher viele Dialekte.

»We find ourselves using a sliding racial scale …«¹

Oyinkan Braithwaite gelingt es, der absurden Grundidee mit einem prägnanten, unverwechselbaren Schreibstil und viel bösem Humor Leben einzuhauchen und die Charaktere trotz allem authentisch und glaubhaft zu zeichnen – mit Ausnahme der mordenden Schwester, die als wandelndes Klischee nur den Resonanzboden für Erzählerin Korede darstellt. Aber in meinen Augen ist das sicher auch genau so gewollt, denn es streicht umso deutlicher heraus, dass Ayoola von allen – auch den Leser:innen! – auf ihre Schönheit reduziert wird.

Überhaupt kann der Roman mit deutlich mehr Tiefgang aufwarten, als mensch anhand der Zusammenfassung erwarten würde; tatsächlich würde ich ihn als satirische Parabel zum Thema ‘Colorism’ bezeichnen.

Was bedeutet ‘Colorism’ (auch als ‘Shadeism’ bezeichnet)?

Unter Rassismus kann sich wohl jede:r etwas vorstellen, aber bei dem Begriff Colorism schaut mensch oft in ratlose Gesichter. Nun ist ‘Rasse’ zwar ohnehin ein soziales Konstrukt, aber Rassismus bezeichnet normalerweise die Diskriminierung von Menschen einer vermeintlichen ‘Rasse’ durch Menschen, die einer anderen angehören.

‘Colorism’ dagegen kann auch ganz außerhalb dieses sozialen Konstrukts geschehen – oder sogar innerhalb der gleichen ‘Rasse’. So kann es passieren, dass Menschen mit besonders tiefschwarzer Haut selbst von anderen schwarzen Menschen herabgesetzt werden und nicht die gleichen Chancen bekommen. Auch in Nigeria, wo der Roman spielt, ist dies ein gesellschaftliches Problem – weswegen sich hautbleichende Produkte hervorragend verkaufen.

»We are better if we are lighter.«¹

Oyinkan Braithwaite zeigt Colourismus innerhalb der schwarzen Community, das ist meines Erachtens eines der zentralen Themen des Buches. So hat die als wunderschön angebetete Ayoola hellere Haut als ihre als unansehlich geschmähte Schwester Korede, und die hat das so verinnerlicht, dass sie ihrerseits die Hautfarbe attraktiver Personen meist als ‘light-skinned’ beschreibt.

Nein, Korede ist keine blütenreine Heldin. Sie fühlt sich machtlos und hässlich, daher tritt sie nach unten, wo es nur geht, und behandelt das ‘ungebildete’ Reinigungspersonal überaus herabwürdigend. Meines Erachtens zeigt die Autorin damit sehr eindringlich, wie rassistische/coloristische Verletzungen weitergereicht werden.

Aber Colorism ist nicht das einzige Thema, das durch Humor ein Stück weit aufgebrochen und dennoch glasklar herausgestellt wird.

Im Laufe der Handlung wird immer offensichtlicher, was für ein Umfeld und was für eine Gesellschaft eine Frau wie Ayoola hervorgebracht hat. Sie erfuhr schon früh Gewalt in der Familie und erlebte, dass ihr prügelnder Vater allerorts als guter Mensch gefeiert wurde; daher könnte ein unterschwelliger Groll gegen Männer im Allgemeinen kommen. Auch hier erfolgt also, wie bei ihrer Schwester Korede, eine Weiterreichung eigener Verletzungen – wenn auch ungemein drastischer.

Als Kind erkannte Ayoola bereits, dass ihre Schönheit ihr Vorteile verschaffte (dazu musste sie ja nur vergleichen, wie unterschiedlich sie und Korede behandelt wurden), dass Schönheit also ihr Ticket in ein besseres, freieres Leben war. Dies in Verbindung mit ihrer erlernten Gewaltbereitschaft ist eine ausgesprochen toxische, gefährliche Kombination.

Fazit

Das Buch ist spannend, unterhaltsam und regt zum Nachdenken an, insofern gefiel es mir für einen Großteil der Kapitel sehr gut. Gegen Ende hätte ich mir allerdings gewünscht, die beiden Schwestern würden mehr inneres Wachstum erfahren, ihre unterschwellig vorhandenen Dämonen endlich mal aussprechen und ans Licht holen … Aber beide bleiben im Grunde genau die Menschen, die sie auf der allerersten Seite waren.

Ob Korede ihre Schwester auf den letzten Seiten doch noch auffliegen lässt, als sie erkennt, dass sie sich entscheiden muss zwischen Tade und Ayoola, möchte ich hier natürlich offenlassen. So oder so wäre ihre Entscheidung ohnehin nicht geprägt von einem persönlichen Unrechtbewusstsein, sondern entweder von einem Gefühl der Verpflichtung (gegenüber Ayoola) oder einem Gefühl der Verliebtheit (gegenüber Tade).

Im Endeffekt kam es mir dadurch so vor, als würde das Buch sein enormes Potential nicht vollends ausreizen, als sei es nicht vollkommen ‘durcherzählt’. Die Autorin schafft einen reichen literarischen Nährboden für die angesprochenen Themen, die Charaktere hingegen bleiben davon nahezu unberührt – die Dinge sind, wie sie sind, niemand scheint ernsthaft etwas daran ändern zu wollen.

¹ Aus: Tom Burrell, “Uglified: Why are Black and Beautiful Still Contradictions?” in Brainwashed: Challenging the Myth of Black Inferiority, 2010