Rezension (3/5*) zu Mrs Dalloway von Virginia Woolf

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Buchinformationen und Rezensionen zu Mrs Dalloway von Virginia Woolf
Kaufen >
Alles hat seine Zeit...

Alles hat seine Zeit. Dies gilt auch für Bücher. Der Zeitpunkt, zu dem man nach einem bestimmten Buch greift, will gut gewählt sein. Jede Geschichte verlangt nach einer gewissen Stimmung, die es ermöglicht, sich voll und ganz in das Geschehen hineinziehen zu lassen. Ist der Zeitpunkt für eine bestimmte Lektüre aber unglücklich gewählt, dann kann es passieren, dass ein an sich sehr lesenswertes und beachtliches Buch komplett an einem vorbei rauscht. So ging es mir leider mit "Mrs. Dalloway" von Virginia Woolf. Als ich die handliche und sehr ansprechend gestaltete Ausgabe des Manesse Verlages sichtete, dachte ich, es sei endlich an der Zeit, mich auf diesen hoch gelobten Klassiker der Weltliteratur endlich einzulassen. Eine wunderschön gestaltete Ausgabe mit Lesebändchen, Kommentar und einem Nachwort von Via Kaiser - das erschien mir eine gute Gelegenheit, dieses von mir bislang sträflich vernachlässigte Werk endlich zu lesen.

Mrs. Dalloway ist eine Art "britisches Gesellschaftspanaroma" der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Die Geschichte ist insgesamt betrachtet recht handlungsarm. Es geht eher um Beobachtungen und Innenansichten verschiedener Protagonisten, die an einem Junitag im Jahr 1923 in London zusammentreffen: darunter Clarissa Dalloway, Bekannte und Dienstboten, Peter Walsh, der Kriegsheimkehrer Septimus Warren Smith und einige Weitere.

Zu Beginn der Geschichte befindet sich Mrs. Dalloway auf dem Weg, um in einem Laden Blumen zu kaufen. Einige Beobachtungen werden eingehend beschrieben, um von diesen Äußerlichkeiten dann in das Innenleben der Protagonisten und deren Gedanken einzutauchen. Dies ist wohl das Besondere an der Schreibweise Virginia Woolfs. Sie gilt als Pionierin der Darstellung von Bewusstseinsströmen. Alles geschieht an einem einzigen Tag, und nur die Schläge des Big Ben geben den Takt vor, nach dem sich die unterschiedlichen Einblicke in das Innenleben der Protagonisten trennen und identifizieren lassen. Sie bilden den Kern der Geschichte.

Leider muss ich im Nachhinein sagen, dass es für mich wohl doch nicht der richtige Zeitpunkt war, dieses - allein wegen der besonderen Stilistik Woolfs - sicher zu Recht gefeierte Werk der Weltliteratur zu entdecken. Mir fehlte die Ruhe und Geduld, mich auf die einzelnen Protagonisten und deren Gefühls- und Gedankenwelt einzulassen. Im unendlichen Bewusstseinsstrom wurde ich quasi "fortgespült", während das eigentlich Erzählte zu großen Teilen an mir vorbei rauschte. Die Wiederbegegnung von Clarissa Woolf mit Peter Walsh und den Spekulationen darüber, was gewesen wäre, wenn Clarissa ihn und nicht ihren Mann geheirat hätte, konnte mich nicht sonderlich fesseln. Eher schon die Psychologie eines Kriegsheimkehrers, exemplarisch dargestellt durch die Figur des Septimus.

Vielleicht werde ich dieses Werk zu einem späteren, ruhigerem Zeitpunkt noch einmal zur Hand nehmen. Denn auch wenn Woolf mich im ersten Anlauf nicht überzeugt hat, verdient gerade "Mrs. Dalloway" eine zweite Chance, denn ihre Bedeutung für die Weltliteratur kann ich durchaus erkennen. Rückblickend war es für mich wohl doch der falsche Zeitpunkt der Lektüre, daher bewerte ich in Anbetracht meiner Überlegungen das Buch mit neutralen, aber dennoch wertschätzenden und durchaus guten 3 Sternen.



von: Volker Weidermann
von: Antonia Blum
von: Oliver Pötzsch