Rezension (3/5*) zu Mrs Dalloway von Virginia Woolf

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.898
14.935
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Buchinformationen und Rezensionen zu Mrs Dalloway von Virginia Woolf
Kaufen >
Gedanken- und Gefühlswelten

In ihrem erhellenden Nachwort zur hübschen, handlich-kleinen Manesse-Ausgabe mit zahlreichen Fußnoten von Virginia Woolfs "Mrs. Dalloway" in einer Neuübersetzung von Melanie Walz stellt die Autorin Vea Kaiser das Revolutionäre dieses 1925 erstmals veröffentlichten Klassikers der modernen Literatur heraus:

<"Mrs. Dalloway" wurde nach seinem Erscheinen zu einem für die damalige Zeit großen Erfolg und begründete Woolfs Weltruhm. […] Nicht nur aufgrund seiner bahnbrechenden, neuen Erzählweise, die bis in die zeitgenössische Literatur hineinwirkt, lohnt sich das Lesen und Wiederlesen des Romans heute, sondern vor allem aufgrund seines Interesses am Innenleben von Menschen, die nach außen hin ganz anders wirken.> (S. 388/389)

Big Ben schlägt den Takt
Der Roman spielt an einem einzigen Tag in London, den wie immer die Glockenschläge von Big Ben unterteilen. An diesem Werktag im Juni 1923, an dessen Beginn Mrs. Clarissa Dalloway, Anfang 50, Mitglied der Upperclass mit einem Haus in Westminister, Blumen einkauft und an dessen Ende sie eine Party geben wird, lernen wir zahlreiche Personen kennen. Teils enger, teils nur durch eine zufällige Begegnung miteinander verbunden, sind sie fast alle physisch oder als Gesprächsstoff bei der Abendgesellschaft präsent.

Da ist Clarissas Gatte Richard Dalloway, konservativer Parlamentsabgeordneter, der es nie ins Kabinett geschafft hat, die 17-jähige Tochter Elizabeth mit ihrer von Mrs. Dalloway für ihre Armut, Bildung und das enge Verhältnis zu ihrem Kind gehasste Lehrerin Miss Kilman, Clarissas verflossene Jugendliebe Peter Walsh, der nie reüssierte und ihr nachtrauert (so wie sie ihm manchmal auch), ihre Cousine und erste Liebe Sally Seaton, mit der sie linksliberales Gedankengut teilte, bevor beide konservative Ehemänner heirateten, verschiedene Bedienstete und einige andere mehr. Die mit Abstand für mich interessanteste Figur ist der ehemalige Soldat Septimus Warren Smith, der schwer kriegstraumatisiert dahinvegetiert. Dass weder seine italienische Frau Lucrezia noch seine Ärzte Art und Schwere seines Leidens einschätzen können, wird ihm zum Verhängnis.

Nicht so fesselnd wie erhofft
Ich habe "Mrs. Dalloway" mit großen Erwartungen und sehr viel Vorfreude begonnen, doch leider wich dieses Gefühl rasch der Ernüchterung. Schuld daran war nicht die manchmal beklagte Handlungsarmut, sondern der Umstand, dass mir die Figuren, allen voran Mrs. Dalloway, nicht nur unsympathisch waren, was Romanfiguren durchaus sein dürfen, sondern schlichtweg egal. Die Überheblichkeit, Oberflächlichkeit und Eitelkeit der Upperclass mit ihren sogenannten Problemen und der Banalität ihrer ausschließlich um sich selbst kreisenden Gedanken vermochten mich nicht zu fesseln, ja, langweilten mich sogar über weite Strecken. „Rasant“, wie Vea Kaiser schreibt, erschien mir der Roman daher keineswegs. Einzige Ausnahme war das Schicksal des traumatisierten Septimus, dessen Visionen und hilfloses Ringen Virginia Woolf überragend nachvollzieht.

Lesenswert machen den Roman neben Septimus' Schicksal der Aufbau mit dem den Takt schlagenden Big Ben, die beständigen, volle Konzentration fordernden Perspektivsprünge, die Wechsel zwischen Dialogen und inneren Monologen, dem sogenannten „Bewusstseinsstrom“, die Themenvielfalt und die kunstvolle Verknüpfung der Einzelschicksale mit mehr oder weniger dicken Fäden.

Ohne Zweifel ist Mrs. Dalloway ein Meilenstein der modernen Literaturgeschichte, den es zu würdigen gilt, ein Lesevergnügen war es für mich jedoch nur teilweise.

von: Anne von Canal
von: Gert Loschütz
von: Siegfried Lenz
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.488
50.093
49
Schade, dass es nicht für den vierten Stern gereicht hat;)
Wir Bibliophilen müssen ja für jeden Klassiker von Manesse dankbar sein. Die liebevolle Gestaltung macht sie zu Schmuckstücken. Aber ich bin sicher, daß die 3☆ schon einen entsprechenden Bonus enthalten. Falsches Buch zur falschen Zeit, vermute ich.
 

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.898
14.935
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Schade, dass es nicht für den vierten Stern gereicht hat;)
Wir Bibliophilen müssen ja für jeden Klassiker von Manesse dankbar sein. Die liebevolle Gestaltung macht sie zu Schmuckstücken. Aber ich bin sicher, daß die 3☆ schon einen entsprechenden Bonus enthalten. Falsches Buch zur falschen Zeit, vermute ich.
Tatsächlich ist der Bonus schon eingepreist.

Ich habe einen körperlichen Widerwillen gegen Ich-zentrierte, aufgeblasene, völlig uninteressante Wichtigtuer, deren Verewigung in der Literatur ich für unnötig halte. Daher rührte beispielsweise auch meine heftige Abneigung gegen den Protagonisten in Pascal Mercier letztem Roman (den Nachtzug nach Lissabon liebe ich dagegen). Man kennt diese Typen im Alltag, in meiner Freizeit begegne ich ihnen höchst ungern, auch nicht in der Literatur.

Den Manesse Verlag liebe ich dagegen und halte auch die Veröffentlichung dieses Buches für wertvoll, nur für mich ist es nichts - und wird es auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht sein. Ich habe es gelesen und bin froh darüber, aber das war's. Angesichts meines SUBs bin ich manchmal sogar dankbar, wenn ich eine Autorin oder einen Autor für mich abhaken kann... ;)
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.701
22.126
49
Brandenburg
"Die Überheblichkeit, Oberflächlichkeit und Eitelkeit der Upperclass mit ihren sogenannten Problemen und der Banalität ihrer ausschließlich um sich selbst kreisenden Gedanken vermochten mich nicht zu fesseln, ja, langweilten mich sogar über weite Strecken." BRAVO.
Vea Kaiser? Hahaha. Gemessen an deren Romanen ist Ms Dalloway natürlich der Hammer.