Rezension Rezension (3/5*) zu Morenga: Roman, Mit einem Nachwort von Robert Habeck von Uwe Timm.

Renie

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19. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Morenga: Roman von Uwe Timm
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Einen Klassiker zu lesen und zu rezensieren ist immer so eine Sache. Meine Erwartungen an das Buch sind hoch. Meine Ehrfurcht vor dem Buch, das aus irgendeinem Grund zum Klassiker stilisiert wurde, ist groß. Und am Ende stehe ich vor der schwierigen Herausforderung, eine aufrichtige Rezension zu schreiben. Fällt mein Urteil positiv aus, stelle ich mir die Frage, ob ich mich durch den Status "Klassiker" blenden ließ und daher Schwächen des Buches ignoriere. Fällt mein Urteil negativ aus, frage ich mich, ob es sich um eine Trotzreaktion von mir handelt. Denn nicht jeder Klassiker kann ein gutes Buch sein, zumindest kein Buch, dass mir gefallen muss, weshalb ich vielleicht viel zu kritisch mit diesem Buch umgegangen bin.

Mit diesem Dilemma hatte ich bei der Lektüre von "Morenga" von Uwe Timm zu tun, einem Klassiker der deutschen Literatur, der erstmalig 1978 veröffentlicht wurde. Vor Kurzem wurde dieser Roman vom dtv Verlag neu herausgegeben, ergänzt durch ein Nachwort von Robert Habeck.
"Morenga" wird als postkolonialer Roman gehandelt. Namesgeber für den Titel ist Jakobus Morenga, ein einheimischer Rebellenführer, der während des Aufstands der Bevölkerungsgruppen Herero und Nama in Deutsch Südwestafrika die deutsche Kolonialmacht in Atem gehalten hat. Dieser Guerillakrieg zwischen Deutschen und Aufständischen ist zentrales Thema des Romans von Uwe Timm.

Schauplatz ist also Deutsch Südwestafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hierhin verschlägt es den Deutschen Gottschalk, der sich als Veterinär freiwillig zur deutschen Schutztruppe gemeldet hat. Die Geschichte um Gottschalks Werdegang in Deutsch Südwestafrika macht einen Teil des Romans "Morenga aus. Ein weiterer Teil konzentriert sich auf die militärische Präsenz der Deutschen in diesem Landstrich. Hierbei hat sich der Autor Uwe Timm historischer Fakten und Militärberichten bedient, die er miteinander verflochten hat und somit einen Eindruck über den Militäralltag der Deutschen in Südwestafrika vermittelt.
Dann unterhält Uwe Timm den Leser mit der sogenannten "Landeskunde". Wer bei dem Begriff "Landeskunde" auf eine völkerkundliche Lehrstunde in Sachen Einwohner von Südwestafrika hofft, wird eine Enttäuschung erleben - wenn auch eine amüsante. Denn Timm konzentriert sich ausschließlich auf die koloniale Entwicklung dieses Landstriches. Am Beispiel von ausgewählten heldenhaften Einwanderern, die mit viel Forschergeist, Abenteuerlust und kirchlichem Segen ihr Glück in Südwestafrika suchten und dabei gnadenlos gescheitert sind. Uwe Timm erzählt seine "landeskundlichen" Geschichten dabei mit viel Ironie und gibt somit die Helden, die die Fremde erobern wollten, der Lächerlichkeit Preis.

In diesem Buch fehlt mir die Ausgewogenheit. Es gibt einen ganz starken Teil - das ist die Geschichte um Gottschalk. Dieser entwickelt sich nach anfänglicher Euphorie und Abenteuerlust zu einem Zweifler, der die Sinnhaftigkeit des Krieges für sich in Frage stellt und sich schwer damit tut, in der Militärmaschinerie zu leben. Am Ende sitzt er nur noch seine Zeit ab und versucht das Beste daraus zu machen. In diesem Teil präsentiert sich Uwe Timm mit einem nüchternen Sprachstil, der den Leser auf Distanz zu seinem Protagonisten und der Handlung hält. Das ist großartig gemacht, zumal man versucht, diese Distanz zu überwinden und Gottschalk nahe zu kommen, seine Gedanken und Handlungen zu verstehen und sich somit zwangsläufig sehr intensiv mit der Sinnhaftigkeit des Militärgeschehens und des Kolonialismus auseinandersetzt.
Diesem sehr starken "Gottschalk-Teil" stehen die schwachen Militärberichte und Landeskunde gegenüber. Die Militärberichte sind tatsachenorientiert, behandeln Gefechtsberichte, Aktennotizen etc., im Grunde genommen alles, was ein Archiv zu dieser Ära hergibt. Aufgrund des Echtheitsgehalt sind diese Erzählungen anfänglich interessant, ermüden aber auf Dauer. Denn ehrlich gesagt ist es mir als Leser völlig egal, welche Garnison, wann, unter welchen klimatischen Umständen, welchen Hügel gestürmt hat.
Die "Landeskunde" hat mich anfangs amüsiert, hat sie doch manche humoristische Einlage irgendeines tragischen Helden geboten, der sein Glück in Südwestafrika gesucht hat und am Ende gescheitert ist. Uwe Timm sorgt dabei für viel Situationskomik. Doch auch dieser Humor nutzte sich für mich irgendwann ab.
Uwe Timm hat versucht, aus diesen drei Erzählsträngen seines Buches ein großes Ganzes zu machen. Das ist ihm jedoch nicht gelungen. Denn wenn ein Teil überragend, ein weiterer mittelmäßig und ein letzter "interessant" ist, stimmt etwas nicht an dem Gesamtpaket.

Daher: Klassiker hin oder her. Das war nicht mein Buch!

von: Schlink, Bernhard
von: Astrid Seeberger
von: Christie, Michael