Rezension (3/5*) zu Milena und die Briefe der Liebe. Kafka ist ihr Leben, das Schreiben ihre Leide

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Gelöschtes Mitglied 6416

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Milena Jesenska ist eine

Milena Jesenska ist eine unkonventionelle junge Frau, die als Tochter eines Zahnarztes während des 1. Weltkrieges in Prag aufwächst. Sie hat die Gelegenheit Medizin und Musik zu studieren, treibt sich mit ihren Freundinnen aber noch lieber als auf der Universität in den berühmten Künstlercafés herum. Hier lernt sie Franz Kafka kennen, dessen dunkle, schwermütige Augen sie nicht mehr vergessen kann.
Nach einer erzwungenen Abtreibung und Differenzen mit ihrem Vater heiratet Milena den Literaturkritiker Ernst Pollak, und zieht mit ihm nach Wien. Hier leben sie in einer sehr freien Ehe, in der jeder selber für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Milena schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, ehe sie als Journalistin und Übersetzerin Geld verdient. Schließlich kommt sie auf die Idee, Kafkas Bücher zu übersetzen und beginnt mit dem zurückhaltenden Schriftsteller einen intensiven Briefwechsel.

Anfangs hat mir der Roman um Milena Jesenska, die als Studentin eigentlich nur Unsinn im Kopf hatte, nicht besonders gut gefallen. Langsam bin ich aber in die Geschichte hineingewachsen, habe mich in die tiefgehenden Gefühle der impulsiven jungen Frau und ihres schüchternen Galans gut einfühlen können.
Die Welt der Prager Künstlercafés wird recht lebendig dargestellt, und auch Milena passt mir ihren modernen Gedanken und ihrem unkonventionellen Verhalten bestens in dieses eigene Universum. Sie hat eine scharfe Beobachtungsgabe, ist wortgewandt und leidenschaftlich. Ganz gegensätzlich zu ihr tritt Franz Kafka dem Leser als "großer eleganter Rabe" entgegen, der sich selber im Wege steht und mich mit seiner Umständlichkeit ganz besonders berührt hat.

"Er war scheu, ängstlich, sanft und gut, aber schrieb grausame und schmerzhafte Bücher".

Nur in seinen Briefen wagt Kafka sich zu offenbaren und vertraut Milena seine geheimsten Gedanken und Gefühle an. Die beiden schreiben sich mehrmals täglich sehnsuchtsvolle Briefe, ehe es Milena nicht mehr dabei bewenden lassen will, und auf einem Treffen mit ihrem "Frank", wie sie ihn liebevoll nennt, besteht. Alle Initiative geht von ihr aus, während Kafka zögerlich bleibt. Ihn aus der Reserve zu locken, kostet Milena all ihren Charme und viel Überredungskunst. Dennoch stehen Kafkas Verlobte und seine Lungenkrankheit dem Traum von einem gemeinsamen Leben als Schriftstellerehepaar im Wege.
Diese Passagen, in denen nur Milena und Kafka agieren, fand ich besonders schön und intensiv. Die unterschiedliche Empfindungswelt der beiden Liebenden hat die Autorin sehr fantasievoll in Worte gefasst. Sehr lebhaft wird auch Milenas Alltag in Wien während ihrer Ehe mit Ernst Pollak geschildert.
In einem Nachwort erfährt der Hörer wie intensiv sich Stephanie Schuster mit dem Leben ihrer Protagonistin auseinandergesetzt hat. Unabhängig davon, wie viel Dichtung sich unter die Wahrheit gemischt haben mag, ist die Geschichte in sich stimmig und gut nachvollziehbar.
Den Vortrag durch die Sprecherin Cathlen Gawlich habe ich als sehr angenehm empfunden. Trotz (oder wegen) ihrer unaufgeregten Stimme gelingt es ihr ganz wunderbar, Stimmungen und Gefühle zu vermitteln, sodass der Hörer tief in die Welt, die vor seinem inneren Auge entsteht, vorzudringen vermag.
Ein empfindsamer, schöner Roman, den ich mir sehr gerne habe vorlesen lassen.