Rezension (3/5*) zu Lektionen von Ian McEwan

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29. März 2022
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Mainz
Buchinformationen und Rezensionen zu Lektionen von Ian McEwan
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Ein ausuferndes Spätwerk

Mc Ewan gilt seit langem als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Schriftsteller der Gegenwart. Gerade mit seinen stark gesellschafstkritischen Romanen wie "Abbitte", "Der "Zementgarten" sowie "Am Strand" konnte er mich voll und ganz überzeugen. Von daher zählt Mc Ewan ohnehin zu den Schriftstellern, deren Werk und Wirken ich interessiert verfolge. So war ich auf den neuesten Roman natürlich sehr gespannt.

"Lektionen" gilt als eine Art Alterswerk. Auch andere AutorInnen, u.a. Auster, haben opulente Alterswerke vorgelegt. Grundsätzlich schreckt mich ein großer Seitenumfang nie von der Lektüre ab, vorausgesetzt, die Geschichte zieht mich in ihrem Bann. Ich hätte mir dies für den neuen Mc Ewan sehr gewünscht. Die Thematik, Lektionen des Lebens eingehend in den Blick zu nehmen einschließlich aller Höhen und Tiefen und der Verwobenheit von politischen und Gesellschaftlichen Zeitgeschehen mit individuellen Lebensläufen klang für mich auch sehr reizvoll. Worum geht es?

Wir folgen Roland Baines von der frühen Kindheit über die Jugend und das Erwachsendasein bis hinein in seinen Lebensabend. Als Sohn eines Majors wuchs Roland zunächst in Libyen auf, besuchte aber später als Elfjähriger ein englisches Internat, wo er eine verhängnisvolle Bekanntschaft mit der Klavierlehrerin Miriam macht. Diese wird übergriffig und Roland gerät mit 14 in eine sexuelle Beziehung mit ihr, der er nur durch das Verlassen des Internats entkommt. Doch dieser Missbrauch in frühen Jahren wird ihn zeitlebens prägen. Mit Frauen bleibt es schwierig. Alissa, seine Frau, verlässt ihn nach kurzer Ehe, um sich auf ihre Schriftstellerkarriere zu konzentrieren und lässt ihn mit dem vier Monate alten Baby Lawrence allein zurück. Später verliert Roland seine langjärige Freundin Daphne viel zu früh an den Krebs.

Im Laufe des Lebens macht Roland viel durch. In politischer Hinsicht durchlebt er allerlei Krisen und Katastrophen bis hin zur Coronapandemie unserer Zeit. Sein Leben scheint so dahinzuplätschern. Rückwirkend scheint Roland mit allem versöhnt, hätten die Wechselfälle des (politischen und gesellschaftlichen) Lebens ihn auch ganz anders treffen können. Die Wechselfälle seines Lebens werden in aller Ausführlichkeit geschildert, was mir persönlich oft zu viel des Guten war. Über weite Strecken habe ich den Roman leider als sehr langatmig empfunden. Mit Roland als Protagonisten bin ich über weite Strecken nicht warm geworden. Erst am Lebensabend beginnt er mir sympathischer zu werden: Immerhin hat er sein Bestes gegeben in Bezug auf seinen Sohn. Ganz anders dessen Mutter Allisa, der die Schriftstellerkarriere wichtiger war als ihr Sohn. Dafür fehlte mir jedes Verständnis. Insofern war es am Ende für mich fast schon so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit, dass Roland zufriedener scheint mit seinem Leben. Am Ende wirkt er gereift. Mit allem hat er seinen Frieden gemacht.

Allein das ist mir aber zu wenig für einen über 700 seitigen Roman. Ich hätte gerne mehr explizite Gesellschaftskritik gelesen oder philosophische Reflexionen über die Wechselfälle des Lebens und Ihr Verwobensein mit der Historie. Diese Aspekte werden leider nur angerissen und der Fokus stattdessen auf Rolands dahintreibendes Leben gelegt. Es ist meines Erachtens ein Roman, den man lesen kann, aber nicht muss. Ich hoffe, dass McEwan zukünftig noch mal nachlegt und noch einmal an die stark gesellschaftskritisch angehauchten Romane anschließen kann. Mir persönlich entsprechen sie mehr. Es ist gut, dass die Leserschaft unterschiedlich ist, und so findet auch dieses Werk seine begeisterten LeserInnen.



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