Rezension (3/5*) zu Ins Unbekannte von Lukas Hartmann

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
845
3.392
44
Buchinformationen und Rezensionen zu Ins Unbekannte von Lukas Hartmann
Kaufen >
Unbekannte Verbindungen

Wenn man Lukas Hartmann „Ins Unbekannte“ folgt, stellt man fest, dass zwei Leben nicht unbedingt einen Roman ergeben, mögen diese noch so interessant und gut erzählt sein. In seinem Text folgt Hartmann den Spuren von Sabina Spielrein und Fritz Platten, zwei Menschen, die beide eine Zeitlang in Zürich und Russland lebten und beide in Sowjetrussland ums Leben kamen, getötet von Sowjets bzw. den Nazis. Diese doch recht spärlichen und kaum überzeugenden Parallelen bilden das Grundgerüst dafür, das beide Leben gleichermaßen in dem Roman betrachtet werden – eine Verbindung, die in Anbetracht des Handlungsverlaufs doch recht fragwürdig und wenig tragfähig erscheint.

Schiebt man dieses wenig überzeugende Konstrukt jedoch beiseite, erhält man besonders in den Kapiteln, die Sabina Spielrein gewidmet sind, ein informatives, überzeugendes und faszinierendes Porträt einer Frau, die sich unabhängig macht, Liebe erfährt und zu überwinden versucht und deren Leben, wie so viele andere der Zeit in einer Tragödie endet. Lukas Hartmann gelingt mit seiner Geschichte über Sabina ein Blick hinter die Fassade des zunächst aufmüpfigen Teenagers und der später gereiften, intelligenten und verantwortungsbewussten Ärztin, der aufschlussreich und trotz aller Distanziertheit auch bewegend ist. Gerade auch die bewusste Entscheidung zu einem besonderen Romanende ist hier berührend und begeisternd.

Die Teile, die sich mit dem Kommunisten Fritz Platten auseinandersetzen, sind nicht ganz so interessant, vieles wird hier doch den Erläuterungen politischer Positionierung untergeordnet, parteipolitische und ideologische Grabenkämpfe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben auf mich als Leser in dieser Ausführlichkeit doch nur einen begrenzten Reiz, auch wenn sie hier natürlich in sprachlich sehr ansprechender Form präsentiert werden.

Schlichtweg ärgerlich sind jedoch einige erzählerische Ungenauigkeiten, die den Leser zum Grübeln bringen. So stimmen die zeitlichen Abläufe im Sabina-Teil nicht (u.a. ist es innerhalb eines Tages März und April), später wird eine Schwangerschaft sehr unelegant und konfus quasi innerhalb von wenigen Seiten doppelt erzählt. Da wünsche ich mir doch mehr Sorgfalt.

Insgesamt ist „Ins Unbekannte“ ein durchaus faszinierender Roman über Sabina Spielrein, der mir noch besser gefallen hätte, wenn sich der Zusammenhang des angestrebten Doppelporträts sinnvoll und deutlich offenbart hätte.


 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.435
49.835
49
Eine tolle ambivalente Besprechung dieses Romans! Ich kann dir in allen Punkten nur beipflichten. Ungenauigkeiten stören mich nicht so sehr, aber ärgerlich sind sie allemal.