Rezension (3/5*) zu Ich und Jimmy von Clarice Lispector

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29. März 2022
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Mainz
Buchinformationen und Rezensionen zu Ich und Jimmy von Clarice Lispector
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Die Wiederentdeckung eines brasilianischen Klassikers

In Deutschland gewinnen die Werke der brasilianischen Autorin Clarice Lispector seit etwa zehn Jahren zunehmend Aufmerksamkeit, ihr Werk wird neu aufgelegt - auch in Brasilien selbst. Ihr 100jähriger Geburtstag im Jahr 2022 ist ein schöner Anlass, sich mit der Autorin und ihrem Werk etwas auseinanderzusetzen. Da ich generell außereuropäischen Literaturen gegenüber sehr aufgeschlossen bin, musste ich mich dazu nicht zwingen. Mich interessierte, wer diese Lispecto ist, die 1922 in der Ukraine geboren sich später gerne als fünf Jahre jünger ausgab? Wer ist diese Autorin, die immer wieder mit AutorInnen wie unter anderen Franz Kafka und Virginia Woolf verglichen wird? Ich war neugierig auf ihr Werk geworden.

Im Manesse Verlag erschien nun "Ich und Jimmy", ein Band mit 30 Prosatexten in einer wie gewohnt hochwertigen Ausgabe mit Lesebändchen, Anmerkungen und einem Nachwort. Die Titel gebende story eröffnet den Erzählband und kreist um unterschiedliche Theorien von beziehungsweise über die Liebe und der schlichten Feststellung, dass es nicht dasselbe ist, wenn Frauen so denken und agieren wie Männer. Im Kern drehen sich alle Geschichten in diesem Band um Frauen: Frauen unterschiedlichen Alters, in verschiedenen Lebenslagen. Sie unterscheiden sich in ihrer Länge, wie auch in ihrer Zugänglichkeit. Manche sind relativ leicht verständlich, andere hingegen machen es der Leserschaft recht schwer. 2005 erhob die New York Times Unverständlichkeit neben einem Hang zum Depressiven zum Markenzeichen von Lispector. Unverständlichkeit allein reicht wohl aber nicht aus, dass den AutorInnen die Herzen der Leserschaft zufliegen.

Mich hat der Erzählband vom Potential der Autorin überzeugt, was aber nicht heißt, dass ich alles verstanden hätte. Besonders gut gefallen haben mir die sozial und gesellschaftskritisch angehauchten Erzählungen ebenso wie solche, die zum Philosophieren über Gott und die Welt anregen. In sprachlicher Hinsicht ist das Buch weitgehend gut lesbar, jedoch immer wieder von viel Symbolik durchzogen, deren Entschlüsselung die Leserschaft herausfordert. Mitunter braucht es viel Geduld nicht zu verzagen und den Prosatexten die verdiente Chance zu geben. "Ich und Jimmy" ist ein anspruchsvolles Werk, das man nicht mal eben so lesen kann. Recht lohnenswert wird die Lektüre jedoch sein, wenn man bereit ist, sich Zeit zu nehmen, die Texte geduldig zu entschlüsseln. Dies vorausgesetzt, bin ich sicher, dass man facettenreiche Einsichten insbesondere über brasilianische Frauenleben in den unterschiedlichsten Lebenslagen gewinnen kann.

Mich selbst konnte die Kurzgeschichtensammlung nicht immer überzeugen. Sehr gerne aber werde ich es noch einmal mit einem Roman der Autorin probieren, um mir ein detaillierteres Bild von Clarice Lispectors Schrifstellerei machen zu können.

von: Katrine Engberg
von: Selma Lagerlöf
von: Michela Murgia