Selten ist ein Werk des 20. Jahrhunderts so überschwänglich und einhellig gerühmt worden wie das von Clarice Lispector. Im Mittelpunkt dieser faszinierenden Sammlung von 30 Short Stories stehen weibliche Erfahrungen und Sichtweisen auf die Welt. Luisa, eine junge Frau führt ein Doppelleben als Ehegattin und Stripteasetänzerin. Miss Algrave, ein irisches Mauerblümchen, erlebt in London unverhofft ihr sexuelles Erweckungserlebnis. In einer anderen Geschichte rächen sich zwei Frauen, Carmem und Beatriz, die in wilder Ehe mit einem Mann zusammenleben, auf perfide Art für seine chronische Untreue.
In Lispectors Kurzprosa, von Luis Ruby neu ins Deutsche übersetzt, lernen wir eine ungeheuer vielseitige Erzählerin kennen. Noch für die widersprüchlichsten Gefühle findet sie ein originelles Bild oder eine aufregende Wendung, eine treffende Charakteristik oder eine kluge Sentenz. Neben der titelgebenden Geschichte werden unter anderem die Erzählungen «Sofias Dramen», «Heimliches Glück», «Die Abfahrt des Zuges», «Auf der Suche nach einer Würde», «Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau» sowie «Dona Frozinas Finessen» enthalten sein. Lispectors Fabulierkunst langweilt nie und verblüfft immer.Kaufen
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...so möchte ich die 30 Kurzgeschichten in "Ich und Jimmy" von Clarice Lispector, nicht ohne Hintersinn, beschreiben.
Denn die Rosen sind es, die als lose verbindendes Element in den Geschichten, der 1920 in der Ukraine geborenen und 1977 in Rio verstorbenen Schriftstellerin, ab und an auftauchen. Mal sind es die gestohlenen aus Nachbars Garten, mal ist es das frisch erworbene Gebinde, dass sogleich weitergegeben wird, weil sich die Besitzerin ihrer nicht würdig empfindet. Mal ist es die vom Leben gelangweilte, wartende Ehefrau, die sich um jede Befindlichkeit, bis ins Absurde steigende, Gedanken macht, oder aber das junge, verschüchterte Mädchen, die sich als zu laut und auffallend empfindet und damit das Böse heraufbeschwört.
Lispector zeigt uns so unterschiedliche Frauenfiguren, von der Adoleszenz bis zur Seneszenz, von der keuschen Unschuld bis zur Stripperin im Nachtclub, der heimlich verliebten Schülerin, bis zur abkanzelnden Jubilarin. Erst zum Schluss wird deutlich, wie sehr ihr eigener Lebenslauf Einfluß auf diese Geschichten, gemischt mit Fabulierlust und symbolischen Überzeichnungen, gehabt hat. Die zwei Frauen im Zug, sich gegenübersitzend, jede in ihren Gedanken versunken, mag die Sprachlosigkeit aufzeigen, die Lispector vielleicht empfunden hat, als sie ihrem Eheman in die Fremde gefolgt ist.
Eines aber bleibt den Firguren gleich. Sie sind sämtlich aus unserer Zeit gefallen und muten mit ihrem Gebaren exotisch an. Sie wollen nicht so recht in Zeiten der Emanzipation passen und brechen doch überraschenderweise die Konventionen. So unterschiedlich die Geschichten sind, so sehr muss man sie aber auch in ihrer Gesamtheit beurteilen. Die vom Verlag übernommene folgerichtige Chronologie der Texte wird deutlich, wenn die Protagonistin aus ihrem Geschehen hinaustritt, sich über ihre Schöpferin (Lispector) beschwert und sogar auf eine vorangegangene Geschichte Bezug nimmt.
Unvertraut mit Lispectors sonstigem Schaffen, fiel es mir stellenweise recht schwer, dabeizubleiben, sie zu verstehen. Zu absurd schien mir dieses und zu banal jenes. Doch ein paar Perlen waren zu finden und mit "Tag um Tag", einem Tagebucheintrag, gibt uns die Autorin selbst die Erlaubnis "die Literatur nicht so wichtig zu nehmen". Also, alles gut!
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