Rezension Rezension (3/5*) zu Gruber geht von Doris Knecht

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.371
21.161
49
Brandenburg
Bisschen zu glatt gestrickt.

Kurzmeinung: Hab ich (trotzdem) gern gelesen


In diesem Roman aus dem Jahr 2011 schildert die Autorin, wie es einem selbstverliebten Topverdiener, weiß, männlich, erfolgreich, rücksichtslos und sexsüchtig geht, wenn er erfährt, dass er todkrank ist. Gut, vielleicht übertrieben. Der Protagonist, John Gruber ist nicht gerade sex-süchtig, es fehlt aber nicht viel und er behandelt Frauen wie käufliche Wesen, er nutzt sie aus und hält wenig von ihnen. Ein Sympathieträger ist Gruber nicht.

Um Grubers Charakter zu identifizieren und zu entdecken, muss man sich von Gruber distanzieren, was dadurch erschwert wird, dass die Autorin, sehr geschickt gemacht ist das, den Leser in den Bewusstseinsstrom Grubers einschleust. Und da Gruber einen Menschen sehr liebt, über alle Maßen liebt, nämlich sich selbst, ist es nicht so leicht, zu erkennen, was Gruber für ein Mensch ist. Aber natürlich hat auch Gruber weiche Seiten. Na ja. Eigentlich ist er ein selbstverliebter Yuppie ersten Ranges, nur dass er halt keine zwanzig mehr ist. Und auch keine dreißig. Es ist ungerecht, zu behaupten, er liebe nur sich selbst: seinen Porsche mag er auch.

Trotz der ernsten Thematik liest sich der Roman leicht. Es gibt zwei Bewusstseinsströme, in die man sich als Leser hineinfallen lassen kann, einerseits ist da natürlich Gruber und andererseits ist da Sarah, die er kennenlernt, sofort beschläft, wie es bei ihm üblich ist, und sich dann verliebt. Na ja. Sort of. Was Sarah an Gruber findet, abgesehen davon, dass der Sex mega gewesen ist, die geneigte Leserschaft ist ja quasi dabei gewesen, ist nicht ersichtlich. Dass er Porsche fährt und sein Sofa so viel kostet wie das Monatsgehalt von „normalen“ Menschen, ist es nicht. Irgendwas wars, wir wissen aber nicht, was. Na ja, Liebe ist ja eh ein Geheimnis. Wo sie hinfällt und so.

Rein persönlicher Leseeindruck:
Ich mag den Stil von Doris Knecht immer mehr. Mein zweiter Roman von ihr. Er ist so unaufgeregt. Und ein bisschen wie ein Smoothie. Samtig. Aber nicht ölig.

Dennoch gibt es einige Kritikpunkte, die ich nicht vorenthalten möchte:

- nie, nie, nie kann ich mir vorstellen, dass jemand mit Krebsdiagnose während der Chemo (dabei und danach) regelrechte Besäufnisse abhält, - ich mag das von der Autorin in diesem Buch vermittelte Frauenbild nicht, und das liegt nicht an Grubers Stream of consciousness, sondern an der Rolle Sarahs insgesamt und der von Grubers Familie (Schwester und Mutter), die Frauenfiguren sind allesamt schief oder verschwommen oder einfach komplett falsch (verblödet), - man erfährt quasi gar nichts von Grubers beruflicher Tätigkeit, es scheint kein Problem zu sein, wenn er wochenlang ausfällt, etc. Na ja. -Und dann das Happyend. Fast hollywoodreif.

Doris Knecht ist eine Autorin, die sich sensibel einfühlt in Situationen und Menschen. Aber ob sie es diesmal so richtig getroffen hat … ich zweifle.

Fazit: Und deshalb (siehe oben) gibt es von mir für ihren Roman, den ich im übrigen trotzdem gerne gelesen habe, „nur“ gediegene drei Sterne.

Kategorie: Belletristik. Operation Sub-Befreiung
Verlag: Rowohlt 2011

von: Arno Geiger
von: Christian Baron
von: Jacqueline Woodson
 
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