Rezension (3/5*) zu Extrem laut und unglaublich nah von Jonathan Safran Foer

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Teilweise berührend...

Oskar Schell ist altklug und naseweis, hochbegabt und phantasievoll. Eine kleine Nervensäge, die schon mit neun Jahren eine Visitenkarte vorweist, auf der sie sich als Erfinder, Schmuckdesigner und Tamburinspieler ausweist. Vor allem aber ist Oskar todtraurig und tief verstört. Auch noch zwei Jahre nachdem sein Vater beim Angriff auf das World Trade Center ums Leben kam. Nun will er herausfinden, warum Thomas Schell, der ein Juweliergeschäft hatte, sich ausgerechnet an diesem Tag dort aufhielt. Mit seinem Tamburin zieht Oskar durch New York und gerät in aberwitzige Abenteuer. (Klappentext)

Ein kleiner Junge, der mit einer großen Trauer fertig werden muss. Sein Vater starb bei dem Anschlag am 11.9. auf die Twin Towers des World Trade Center. Zwei Jahre ist dies nun her, doch immer noch versteht Oskar nicht, wieso sein Vater an jenem Tag dort war, denn eigentlich betrieb er ein Juweliergeschäft. Oskar ist hochbegabt und denkt sich abends vor dem Schlafengehen jede Menge skurriler Möglichkeiten aus, um die Welt ein Stück sicherer zu machen. Was spleenig klingt, ist jedoch Oskars Art, mit seiner Trauer und der Angst vor weiteren Unberechenbarkeiten umzugehen.

Als Einzelkind fühlt sich Oskar oft allein mit seiner Trauer, seine Mutter scheint sich mit einem neuen Freund zu trösten, und der Kontakt zu ihr war niemals so intensiv wie der zu seinem Vater. Im Grunde nimmt er ihr übel, dass sie weniger zu trauern scheint als er selbst, und er lässt sie zu keinem Zeitpunkt wirklich an sich heran. Sein Vater stellte Oskar viele Aufgaben, die er selbständig lösen sollte, und nicht alle Rätsel waren leicht. Als Oskar in der Kleiderkammer seines Vaters einen geheimnisvollen Schlüssel findet, sieht er dies als ein letztes Rätsel an, das er lösen muss: zu welchem Schloss passt dieser Schlüssel und was verrät ihm das über seinen Vater?

Fortan läuft Oskar heimlich an den Wochenenden durch New York, immer auf der Suche nach dem richtigen Menschen namens Black - denn der Name stand auf dem Umschlag, in dem der Schlüssel sich befand. So stößt er auf viele Menschen, die oftmals selbst in Einsamkeit gefangen sind, und die Oskars Erscheinen teilweise wachrüttelt. Doch keiner der Blacks scheint etwas zu wissen...

Diese geschilderte Erzählebene war nach Sichtung des Klappentextes auch in etwa das, was ich von dem Roman erwartet hatte. Völlig verblüfft war ich daher, als ich feststellte, dass Jonathan Safran Foer parallel zu Oskars Erzählung noch weitere Erzählebenen eingefügt hat, die die Familiengeschichte zum einen erweiterten, zum anderen aber auch Gemeinsamkeiten und damit eine Allgemeingültigkeit aufwiesen.

Neben der Erzählung um Oskar widmet sich der Autor auch dessen Großvater, der aufgrund einer schweren Traumatisierung während und nach der Bombardierung Dresdens während des Zweiten Weltkriegs nach und nach seine Sprache verlor und sich auch noch in der Gegenwart ausschließlich schriftlich äußern kann. Oskar hat seinen Großvater nie kennengelernt, da dieser aufgrund seiner erworbenen Bindungsstörung Entscheidungen traf, die die ganze Familie in Mitleidenschaft zog. Eine weitere und unzusammenhängende Erzählebene ist schließlich eine szenische Darstellung der Geschehnisse um den Atombombenabwurf in Hiroshima.

Nach anfänglicher Irritation über diese verschiedenen Erzählebenen wurde mir klar, dass den Ereignissen um den 11. September in New York, um die Bombardierung Dresdens sowie um den Atombombenabwurf in Hiroshima gemein ist, dass sie sich in das kollektive Gedächtnis einer Stadt eingebrannt haben - diese Ereignisse werden noch über Generationen die dort lebenden Menschen prägen. Ich vermute, dass es dem Autor bei der Wahl der verschiedenen Erzählebenen v.a. darum ging.

Leider muss ich für mich sagen, dass mich diese Perspektivwechsel beim Hören immer wieder irritierten, ich aus dem Flow der Erzählung gerissen wurde. Statt sich auf Oskar und seine Verarbeitung des Traumas zu konzentrieren, wird hier die Familiengeschichte sehr erweitert erzählt, was oftmals zerfasert wirkte. Womöglich ist dies auch dem Umstand geschuldet, dass es das Hörbuch nur in der gekürzten Version gibt (7 Stunden und 31 Minuten), und dass der Übergang der Erzählebenen oftmals nicht sofort (z.B. durch Stimmnuancen des ansonsten versiert lesenden Sprechers Alexander Khuon) erkennbar war.

Dies ist einer der Romane, bei denen ich glaube, dass die Printversion eindeutig die bessere Wahl ist. Vielleicht gebe ich der Erzählung irgendwann auf diese Weise noch einmal eine Chance... In der gekürzten Hörbuchversion jedenfalls konnte mich die Geschichte nur teilweise berühren.


© Parden

 
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Irisblatt

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15. April 2022
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Ich habe es vor Jahren gelesen und als sehr gut in Erinnerung - ich denke auch dass es im Print viel leichter ist, zu folgen.
Auch Kürzungen finde ich grundsätzlich problematisch.
 
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