Rezension (3/5*) zu Elizabeth Finch: Roman von Julian Barnes

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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München
Buchinformationen und Rezensionen zu Elizabeth Finch: Roman von Julian Barnes
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Erinnerungen an eine tolle Frau

Elizabeth Finch - soviel vorneweg - ist eine absolut beeindruckende Frau. Sie ist gebildet, wortgewandt, witzig, diszipliniert und scheint auf jede Frage, die einem so durch den Kopf schwirren mag, eine gut durchdachte Antwort parat zu haben, gegen die schwer zu argumentieren ist. Als Professorin hält sie Vorlesungen an einer Abenduni zu den Themen Kultur und Zivilisation.

In einer dieser Vorlesungen sitzt nun eines Tages Neil. Der Typus "Neil" taucht öfter in Julian Barnes Werken auf. Ein gebildeter Mann in seinen mittleren Jahren, irgendwie sympathisch, ein Gentleman mit den besten Voraussetzungen, der aber dann doch irgendwie scheitert. Sein Leben ist keine Tragödie. Aber so richtig toll ist es auch nicht. Neil ist fasziniert von Elizabeth Finch. Ist sie doch in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von ihm: zielstrebig und scheinbar ohne größere Zweifel. Alle größeren Fragestellungen, die das Leben mit sich bringen könnte, hat sie stoisch mit ihrem Intellekt abgeräumt.

Die beiden freunden sich an beziehungsweise akzeptiert Finch die platonischen Annäherungsversuche von Neil. Nach ihrem Tod erbt ihr Verehrer eine kleine Bibliothek und ihre Notizen über einen gewissen Julian Apostat. Julian who? Julian Apostat war römischer Kaiser, aber einer der unbedeutenden, die im Lauf der Geschichte in Vergessenheit geraten sind. Fairerweise muss man sagen, dass Julian Apostat nur drei Jahre regierte, also gar keine Zeit hatte irgendein Kollosseum zu bauen, Asien zu erobern oder sonstwie in Erinnerung zu bleiben.

Den Eingeweihten, und damit sind wir wieder bei Finch, war Julian Apostat aber bekannt als derjenige römische Kaiser, der die Christianisierung zurückdrehen wollte. Sein Traum war sozusagen die gute alte heidnischen Reichskirche mit römischen und griechischen Göttern. Daraus wurde nichts, wie wir heute wissen. Ob er einfach zu spät dran, das Christentum zu hartnäckig war oder er einfach zu früh gestorben ist, das wird sich nicht mehr klären lassen.

Aber in seinem Scheitern gesellt sich Julian Apostat zu anderen Personen der Geschichte, bei denen sich immer vortrefflich darüber philosophieren lässt, was passiert wäre, wenn sie 100 geworden und mit ihrem Streben nun doch erfolgreich gewesen wären. Ginge es uns heute besser oder schlechter ohne das Christentum? Wären wir aufgeklärter? Das kann niemand letztlich beantworten, weil die Welt kein A-B-Test ist, wo beide Varianten gleichzeitig nebeneinander existieren und sich so überzeugend ein Gewinner ermitteln liesse. Aber das Gedankenspiel hat was.

Unter dem Strich ist "Elizabeth Finch" eine Liebeserklärung an die Philosophie und die Freude am eigenständigen Denken. Als Roman kommt es aber an Barnes andere Werke nicht heran.