Baldwins explizitester, leidenschaftlichster Roman
Warum hat Rufus Scott – ein begnadeter schwarzer Jazzer aus Harlem – sich das Leben genommen? Wegen seiner Amour fou mit der weißen Leona, einer Liebe, die nicht sein durfte? Verzweifelt sucht Rufus’ Schwester Ida nach einer Erklärung. Aber sie findet nur Wahrheiten, die neue Wunden schlagen, – auch über sich selbst. Wie ihr Bruder war Ida lange bereit, sich selbst zu verleugnen, um ihren Traum zu verwirklichen, den Traum, Sängerin zu werden. Wie ihr Bruder hat sie ihre Wut auf die Weißen, die sie diskriminieren. Bis jetzt. Baldwin verwickelt uns in ein gefährliches Spiel von Liebe und Hass – vor der Kulisse eines Amerikas, das sich selbst in Trümmer legt.Kaufen
Kaufen >
James Baldwin war ein Autor der Extreme: mit einem extremen Sprachstil und extremen Charakteren war er in der Lage, ein extremes Kopfkino zu erzeugen. Baldwin lesen bedeutet, in eine Gedankenwelt und Szenerie abzutauchen, die einen packt und bis zum Ende eines Romans mitreißt. Zwischen den Zeilen spürt man eine Besessenheit des Autors, die auf mich eine große Faszination ausübt.
In den letzten Jahren habe ich mich in schöner Regelmäßigkeit von seinen bisher erschienen Romanen vereinnahmen lassen. Daher habe ich nun in gespannter Erwartung Baldwins letzten seiner Romane gelesen, die mir noch in meiner Sammlung fehlten: "Ein anderes Land" aus dem Jahr 1962, nun vom dtv Verlag in einer Neuübersetzung wieder veröffentlicht.
In diesem Roman begegnet uns eine Gruppe von Menschen im New York der 50er Jahre. Allen voran Rufus, ein Schlagzeuger und der einzige Schwarze. Die Menschen dieser Gruppe sehen sich selbst als Bohémians, ihren Lebensunterhalt verdienen sich sich mehr oder weniger erfolgreich als Schriftsteller, Schauspieler oder Musiker. Diese Menschen begegnen sich hauptsächlich im New Yorker Nachtleben. Man frönt dem bohemischen Dasein unter dem Einfluss von Alkohol, Drogen und Sex. Zum Entsetzen aller wird sich Rufus das Leben nehmen, und der Roman beschäftigt sich mit der Frage nach Rufus' Motiv für seine Lebensmüdigkeit.
Eines haben alle Charkatere aus dem Personenkreis um Rufus herum gemeinsam: sie hadern mit sich und ihrem Leben. Sind auf der Suche nach ihrer Identität, die augenscheinlich von ihrer Hautfarbe und sexueller Orientierung bestimmt ist und scheitern bei dieser Suche.
Der Roman beginnt mit einem Teil, der Rufus in der Zeit vor seinem Tod zeigt. Er lebt mit Leona zusammen, einer Weißen, die er auf einer Party kennengelernt hat. Die Beziehung ist zerstörerisch und extrem. Denn sowohl Liebe als auch Aggressivität und Gewalt bestimmen den Alltag. Scheinbar können die beiden nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander. Dieser Abschnitt endet mit dem Selbstmord von Rufus. Danach richtet sich die Aufmerksamkeit auf Freunde und Familie von Rufus und deren Leben nach seinem Tod. Alle haben unterschiedliche Sichtweisen auf Rufus Charakter. Selbst der Leser hat Rufus anders wahrgenommen, als seine Freunde den jungen Musiker in Erinnerung haben. Die Suche nach dem Motiv für Rufus' Selbstmord wird von der Darstellung der Einzelschicksale begleitet. Waren Freunde und Familie im ersten Abschnitt noch Nebenfiguren, werden sie im weiteren Verlauf des Romans zu Hauptcharakteren, die an ihrem Leben verzweifeln.
Es wäre ein leichtes, die Verzweiflung dieser Charaktere durch den Rassismus-Gedanken dieses Buches zu begründen. Denn wie in fast allen Romanen von James Baldwin ist auch hier die Diskriminierung von Schwarzen ein zentrales Thema. Doch die Gruppe der Protagonisten besteht aus Menschen beider Hautfarben - schwarz und weiß. Daher war es für mich schwierig, die Ursachen für die "Verzweiflung" herauszulesen.
Mein Fazit:
Diesmal bin ich zwiegespalten. Konnte mich James Baldwin bisher immer mit seinen Romanen überzeugen, bin ich diesmal nicht ganz so euphorisch in meinem Urteil.
Das Positive vorweg: Sprachlich fand hier wieder großes Baldwin-Kino statt. Wie immer hat Baldwin mich mit seiner Intensität mitgerissen. Herausragend war auch der Schauplatz: Baldwin lässt uns durch "sein" New York der 50er Jahre wandeln. Diese Bilder vermitteln eine großartige Stimmung, die Kopfkino in den schillerndsten Farben präsentiert.
Das Negative: die Charaktere dieses Romans sind mir fremd geblieben. Ich habe begriffen, dass jeder an seinem momentanen Leben verzweifelt. Doch leider wurde mir nicht klar, worin diese Verzweiflung begründet ist. Leider gab es für mich auch keine Auflösung, was das Motiv für Rufus' Selbstmord angeht.
Der Roman ist immer noch durch Baldwins Sprachgewalt lesenswert. Doch inhaltlich konnte er mich diesmal nur im Ansatz erreichen.
© Renie
Lesern von "Ein anderes Land: Roman" gefiel auch...
Seeluft
von: Friedrich Dönhoff
Cowboys Don t Cry
von: Anne McAllister
Der Tag X: Roman
von: Titus Müller