Rezension Rezension (3/5*) zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von Stephen Crane.

Emswashed

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9. Mai 2020
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von  Stephen Crane
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Hurz!

Wie war das mit dem "Hurz" im Fernsehstreich von Hape Kerkeling? Es ließ die Zuschauer einigermaßen ratlos zurück, innerlich im Zwiespalt, ob es denn noch Kunst, oder doch einfach nur Unsinn war.

So erging es mir mit der roten Tapferkeitsmedaille von Stephen Crane, einem hochgelobten und heute noch im amerikanischen Schulbetrieb gelesenen Autor, der mit nur 28 Jahren genau 1900 verstarb. Crane war 21, als er sich in die Gedankenwelt eines Soldaten des Sezessionskrieges (USA, 1861-1865) verstieg und diese zunächst als Fortsetzungsgeschichte in der Presse veröffentlichte. Eine Kriegsberichterstattung, die, mit ein wenig Kopfrechnen schnell belegt, nicht aus eigener Erfahrung entstammen konnte, sondern nur ein Gedanken- und Schreibexperiment war, dafür aber, ob seiner Neuartigkeit, für großes Aufsehen sorgte.
Crane kürt den jungen Henry Fleming zu seinem Hauptprotagonisten, der Haus und Hof verlässt, um Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld zu erlangen. Mit allerlei heroischen Gedanken und romantischen Landschaftsbetrachtungen, ereilt unseren viel zu jungen Henry beim ersten Kanonendonner, spätestens aber beim Anblick des ersten Toten, die nackte Angst. Er flieht. Kopf- und planlos rennt er davon. Doch mit den leiser werdenden Kriegsgeräuschen, erwacht auch wieder Henrys Gedankenwelt, in der er alles richtig gemacht, ja sogar äußerst klug und heldenhaft gehandelt hat. Diese rosa Blase zerplatz, sobald er auf eine Gruppe Soldaten trifft, die verwundet und geschunden die Frage nach seinem Verbleib und seinen Verletzungen stellen. Wie gut, dass Henry im Streit mit einem Kameraden dann eine Kopfnuss mit dem Gewehrkolben verpasst bekommt, endlich die ersehente Legitimierung, das rote Zeichen, einen Kampf im Krieg erfolgreich bestanden zu haben.

Die Erzählung ist aus heutiger Sicht sehr gewöhnungsbedürftig. Crane lässt sich nicht dazu herab, den Grund für diese militärische Auseinandersetzung, die Aufgaben der verschiedenen Einheiten, aber auch einfache Dinge wie Ort und Zeit, näher zu bezeichnen. Der Soldat Fleming bleibt, bis auf ein paar Abschiedsworte seiner Mutter und seiner sehr polarsierenden Gedankenwelt, ein unbeschriebenes Blatt. Der Schwerpunkt scheint sich auf die Farben der Umgebung und des Geschehens zu beziehen und so ist es auch die Uniformfarbe, die den Gegner im Text verrät, der ansonsten nebulös im Hintergrund die Hauptbühne niemals zu betreten scheint.

Im Anhang porträtiert Rüdiger Barth den Schriftsteller und Reporter Stephen Crane und erst in diesem Zusammenhang konnte ich mich ein wenig mit der Geschichte versöhnen und die Art und Weise seiner Darstellung nachvollziehen, aber nicht gutheißen. Die Idee, innere Befindlichkeiten des einfachen Soldaten zu Papier zu bringen und damit auch Gehör zu verschaffen, ist eine geniale. Sie wurde oft kopiert. Die Ausführung ist, mangels eigener Erfahrung und fehlender Reife allerdings ausbaufähig und hat zumindest bei mir für allerhand Irritation und Verdruss geführt.

Cranes kurzes Leben war spannend und dranghaft und spätere Werke könnten dem Rechnung getragen haben. Sein Publikum mag es in dieser Zeit auch als erfolgreiche Neuheit gefeiert haben, mir allerdings fehlte der Anker, der mich in den sicheren Hafen der Geschichte, oder aber in einen verifizierbaren Hintergrund für die Gedankenwelt des Soldaten, gehalten hätte. Diese Geschichte bescherte mir ein richtiges Hurz-Erlebnis.

 
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