Rezension Rezension (3/5*) zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von Stephen Crane.

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Buchinformationen und Rezensionen zu Die rote Tapferkeitsmedaille: Roman von  Stephen Crane
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Aus der Historie heraus zu würdigen.

Kurzmeinung: Für historisch Interessierte ein Gewinn. Aber bei der Schreibweise musste ich die Zähne zusammenbeißen.



Der Verlag Pendragon legt Stephen Crane, Lebensdaten 1871 bis 1900, neu auf. „Die rote Tapferkeitsmedaille“, der Roman, den der Autor schon im Alter von 22 Jahren verfasste und mit 24 Jahren veröffentlichte, hatte einen durchschlagenden Erfolg in den Staaten und ist in den USA teilweise auch heute noch Schullektüre. Das ist nicht weiter verwunderlich, da der Roman die für die USA traumatisierenden Sezessionskriege (1861 bis 1865) thematisiert.

Stephen Crane katapultiert seine Leser in den Kopf des kriegsbegeisterten jungen Kerls Henry Fleming, gerade auf der Schwelle zum Mann, der, beseelt von einer Mischung aus Idealismus, Patriotismus und wahnhaften, überspannten Vorstellungen von Heldentum sich freiwillig verpflichtet und dessen erste Berührung mit dem Krieg und feindlichen Truppen die mehrtägige Schlacht am Rappahannock in Virginia ist.

Mit Details des Geschehens hält sich Stephen Crane nicht auf. In den USA muss er das auch nicht, jedem Schulkind sind Details der Sezessionskriege gegenwärtig. Blauröcke und Grauröcke sagen uns, auf welcher Seite des Bürgerkrieges wir stehen. Wir sind Yankees und dienen einer guten Sache, yeah!

Der Leser wird indes mit Henrys Innenleben konfrontiert, seinen Idealvorstellungen vom Krieg nicht nur, nein, auch von sich selbst, klinkt sich in seine Träume ein, ein hochdekorierter Held zu werden und sieht sich gleichzeitig seinen Zweifeln ausgesetzt, was er wohl wirklich für ein Mensch ist, ein ganzer Kerl, der sich bei Feindberührung beweist oder ein Feigling, der ausrückt, wenn es ernst wird.

Henry ist kein Sympathieträger. Er ist jung und dumm, lebensunerfahren, und erfährt im Aufeinanderprallen seiner heroischen Vorstellungen mit der blutgetränkten Realität des Kriegs ein Wechselbad der Gefühle. Die Unfähigkeit des Hirns, in ganz kurzer Zeit viele, nie erlebte, kontroverse Sinnen-Eindrücke zu verabeiten, gelingt Crane wirklich gut.



Aus europäischer Sicht und in der Moderne verhaftet, dem realistischen Erzählen mehr verpflichtet als pathetischen Luftblasen, mutet Cranes Stil seltsam an.

Mit Wendungen wie der „kleinen Blume des Stolzes“, den „beschwingten Flügeln der Hoffnung“ muss man sich erst einmal anfreunden. Auch dass das Regiment gleich „auf dem Prüfstein der Geschichte (steht)“, „Männer mit stählernen Herzen (agieren)“, „polierte Gewehrläufe in der Sonne blitzen“, und „der Gesang der Kugeln“ die „Winde des Krieges“ begleiten und die „kosmische Kriegslawine“ rollt, sind gewöhnungsbedürftig.



Dieser Stil ist für uns heutige Leser nicht leicht zu verkraften. Pathos, Schwulst, Überspanntheit, Idealisierungen Henrys mischen sich mit der wohl typisch überschwänglichen Schreibe Cranes.

Mit ähnlich pathetischen, idealistischen und schwülstigen Passagen, schummelt sich Crane über konkrete Beschreibungen einzelner Szenen hinweg und flüchtet ins Allgmeingültige: „Die Drachen näherten sich mit riesigen Schritten. Die eigene Armee, im Dickicht verfangen und im Dunkel mit Blindheit geschlagen, stand kurz davor, von dem Monster verschlungen zu werden. Der Krieg, dieses tollwütige Tier, hatte sich zu seiner vollen Größe aufgeblasen.“

Wenn und falls (!) man sich mit dem überspannten Stil abgefunden hat, muss der Leser dem Roman als zweites Problem die Schablonenhaftigkeit der Figuren ankreiden. Sie alle sind Platzhalter und haben keine Authentizität. Selbst Henry, in dessen Kopf und wirren, sich überschlagenden Gedanken sich der Leser wiederfindet, dient nur zu offensichlich der Plattform von Cranes eigenen Gedanken.


Dennoch gebührt dem jungen Autoren Stephen Crane der Verdienst, dass er erstmalig, den Krieg aus der Sicht des einfachen Soldaten schildert. Die Kriegserzählungen, so aus dem Zugriff und dem Narrativ der Autorität des Militärs befreit, haben sich im folgenden verändert, viele Autoren griffen die Sicht „von unten“ auf, so zum Beispiel wurde auch Erich Maria Remarque (Im Westen nichts Neues) von Cranes Roman beeinflusst.


Fazit: Dass Henry in einem „heiligen Krieg“ als Antiheld in Erscheinung tritt und den normalen Hero vom Sockel hebt, allerdings relativiert durch das nachgeschobene Kapitel „Der Veteran“, bleibt bei allem kritischen Lesen das Verdienst des zu früh verstorbenen Autors.

Anzukreiden als entscheidendes Manko ist jedoch, dass die Auseinandersetzung mit dem Töten/Morden, das man selber zu verantworten hat/te, nicht stattfindet, so dass eine gewisse Verklärung des Krieges haften bleibt und eine Demaskierung des Kriegs per se ausbleibt. Denn sozusagen in letzter Sekunde knickt der Autor ein und macht aus Henry doch noch einen Helden. Das hat er allerdings später bereut.

Kategorie: historischer Roman
Verlag Pendragon, 2020

 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Das hat er allerdings später bereut
Woher nimmst du diese Erkenntnis? Hab ich da was überlesen?

Ansonsten schreibst du wirklich eine sehr ausgewogene Rezension, die das Werk auch gut in seinen Kontext und in seine Bedeutung einordnet.
Ich habe vieles anders empfunden, bin z.B. der Meinung, dass eine Verklärung des Krieges an keiner Stelle stattfindet. Eher das Gegenteil ist der Fall.... Aber das kannst du später in meiner Rezi nachlesen;)
 

Wandablue

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Crane sagt, er hätte Henry ein zweites Mal desertieren lassen wollen/sollen. Diese Aussagen habe ich interpretiert.